Deshalb kommt NRW beim Ausbau der Windkraft nicht voran

Stand: 24.11.2022, 06:00 Uhr

CDU und Grüne sind mit dem Versprechen angetreten, wesentlich mehr Windräder aufzustellen. Doch inzwischen macht sich statt Schwung vor allem Ernüchterung breit. Eine Analyse.

Von Tobias ZacherTobias Zacher

Die Klimakrise, die sich weltweit immer weiter zuspitzt, soll abgemildert werden – deshalb hat Deutschland beschlossen, bis 2045 klimaneutral zu werden. Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine will die Bundesregierung außerdem so schnell wie möglich unabhängig werden von den fossilen Rohstoffen totalitär geführter Staaten. Damit beides klappt, müssen die Erneuerbaren Energien – allen voran Windenergie und Photovoltaik – sehr schnell und in großem Maßstab ausgebaut werden.

Man kann ohne Übertreibung sagen: Am schnellen Aufstellen von Windrädern und Solarzellen entscheidet sich die Zukunft unseres Landes.

Doch der Ausbau der Erneuerbaren ist schwierig und kompliziert – womit dieser Text in den Niederungen der nordrhein-westfälischen Landespolitik angekommen wäre.

Ausbau kommt nicht entscheidend voran

Die Koalition aus CDU und Grünen hat zum Beispiel angekündigt, dass "in den kommenden fünf Jahren mindestens 1.000 zusätzliche Windenergieanlagen" entstehen sollen. Seit fünf Monaten steht dieses Versprechen im Koalitionsvertrag der Regierung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Nachdem die vorherige Landesregierung aus CDU und FDP trotz vollmundiger Ankündigungen keine "Entfesselung" bei der NRW-Windenergie geschafft hat, sollte es nun schnell gehen.

Doch auch seit Beginn der ersten schwarz-grünen Koalition der Landesgeschichte kommt der Ausbau der Windräder nicht entscheidend voran, das belegen die Zahlen. Zu den Ursachen zählen verschränkte Zuständigkeiten, langwierige Abläufe – aber auch zu wenig politisches Tempo und faule Kompromisse unter den Koalitionspartnern.

Ernüchterung in der Branche

Aufstellen sollen die Windräder Menschen wie Milan Nitzschke, Geschäftsführer von SL Naturenergie. "Es gibt politische Rahmenentscheidungen durch den Koalitionsvertrag in NRW, durch das so genannte Osterpaket im Bund. Aber vor Ort hat sich gar nichts geändert", bemängelt er. Nitzschke steht stellvertretend für eine Branche, in der die Aufbruchsstimmung der Ernüchterung gewichen ist. Dies war kürzlich bei den Windenergietagen in Bad Driburg zu besichtigen.

Ein genauer Blick auf die einzelnen Maßnahmen zeigt: Tatsächlich lassen die Erleichterungen für den Bau von Windrädern, die schwarz-grün angekündigt hat, auf sich warten. Eine Bestandsaufnahme.

Windkraft auf ehemaligen Waldstücken

Schon die vorherige Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) hatte wiederholt zugesagt, den Bau von Windrädern auf so genannten Kalamitätsflächen zu ermöglichen – also auf Waldstücken mit abgestorbenen Bäumen, die zum Beispiel durch Dürre oder den Borkenkäfer zerstört wurden. In der Landespolitik gibt es darüber seit Längerem Einvernehmen, über Fraktionsgrenzen hinweg. Umgesetzt hat schwarz-gelb die Regel aber nie.

In ihrem Koalitionsvertrag hatten CDU und Grüne im Juni dann angekündigt, "noch vor dem Herbst einen Erlass" zu veröffentlichen, "damit Kalamitätsflächen weitgehend heute schon für den Ausbau der Windenergie genutzt werden können". Daraus ist nichts geworden: An dem Erlass arbeitet das Haus der inzwischen für Klimaschutz und Energie zuständigen Ministerin Mona Neubaur (Grüne) bis heute. "In Kürze" solle die Regelung veröffentlicht werden, teilt das Ministerium auf Nachfrage mit, ohne sich genauer festzulegen.

Vereinfachung der Genehmigungsverfahren

Wer ein Windrad in bauen will, der braucht Ausdauer: Derzeit dauert es in Nordrhein-Westfalen von der Antragstellung bis zur Genehmigung durchschnittlich zwei Jahre. Von der Genehmigung bis zur Inbetriebnahme vergehen dann im Schnitt noch einmal 26 Monate. Das geht aus aktuellen Zahlen der Fachagentur "Windenergie an Land" hervor. Tausend neue Windräder in fünf Jahren sind so nicht zu schaffen – das wissen CDU und Grüne.

Um die Prozesse zu beschleunigen, sollen künftig anstelle der 396 Kommunen die fünf Bezirksregierungen "Genehmigungsbehörden für Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen sein", so steht es im Koalitionsvertrag.

Oliver Krischer im Porträt

Oliver Krischer (Grüne)

Doch noch immer wird "die mögliche Bündelung von Aufgaben bei den Bezirksregierungen geprüft", so das Haus des zuständigen Umweltministers Oliver Krischer (Grüne). Wann die Neuregelung in Kraft tritt, teilte das Ministerium nicht mit. Seit einigen Wochen eingesetzt ist eine "Task Force", sie beschäftigt sich unter anderem "mit der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren". Ergebnisse aus der Arbeit dieser Gruppe sind nicht bekannt.

Pauschale Tausend-Meter-Abstandsregel

Vergangenes Jahr hatte die Vorgänger-Landesregierung aus CDU und FDP die umstrittene Vorgabe beschlossen, nach der Windräder grundsätzlich nur gebaut werden dürfen, wenn sie einen Mindestabstand von 1.000 Metern zu Wohngebieten haben. Seitdem ist die Regel ein echter Bremsklotz für den Windenergie-Ausbau: Würde der Abstand von tausend Metern auf 720 Meter verringert, so würde das die zur Verfügung stehende Fläche für Windräder auf einen Schlag um 42 Prozent erhöhen. Das hatte im April eine Studie des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) ergeben. Die Grünen hatten seit der Einführung gefordert, die Tausend-Meter-Regel zu streichen. In den Koalitionsverhandlungen konnten sie sich aber nicht gegen die CDU durchsetzen.

Der schwarz-grüne Kompromiss sieht vor, dass die pauschale Abstandsregel für neue Windräder nun schrittweise abgeschafft wird. Die ersten Maßnahmen hierzu sind jedoch frühestens für das kommende Jahr angekündigt. "Ersatz für die pauschalen gesetzlichen Mindestabstände wird die neue Steuerung über Windenergiegebiete durch Landes- und Regionalplanung schaffen", heißt es im Koalitionsvertrag. Doch die wird voraussichtlich nicht vor Ende 2024 in Kraft treten – bis dahin ist die Legislaturperiode schon annährend zur Hälfte verstrichen.

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach

Ina Scharrenbach (CDU)

Wie es schneller ginge, hatten die Grünen im März gezeigt: Damals reichten sie – noch in der Opposition – gemeinsam mit der SPD einen Gesetzentwurf ein, der die Tausend-Meter-Regel mit einer Gesetzesänderung vollständig gestrichen hätte. Dieses Gesetz fällt jedoch in die Zuständigkeit von Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU), deren Haus der Ruf vorauseilt, bei der Windenergie auf der Bremse zu stehen.

Erleichterung von Repowering alter Anlagen

Während die Tausend-Meter-Regel für Neubauten zunächst noch bestehen bleibt, soll es beim Ersetzen alter Windräder durch neue, effizientere Windenergieanlagen schneller gehen: "In einem ersten Schritt werden wir (...) den pauschalen 1000-Meter-Abstand für das Repowering abschaffen", heißt es dazu im Koalitionsvertrag von schwarz und grün. Doch auch dieser "erste Schritt" lässt auf sich warten: Die entsprechende Gesetzesänderung wird derzeit innerhalb der schwarz-grünen Landesregierung abgestimmt. Sie soll "zeitnah in das parlamentarische Verfahren gehen", heißt es aus dem Energieministerium.

Einen konkreteren Zeitpunkt, wann dies geschehen soll, wollte das Ministerium auch auf Nachfrage nicht nennen.