Warum die NRW-Politik auf Wasserstoff setzt

Stand: 21.10.2022, 15:28 Uhr

Seit Jahren sagen Politiker in NRW, wie wichtig Wasserstoff für die Energiewende sei. Ministerin Neubaur hat dazu ein Pilotprojekt vorgestellt. Doch der Weg zum Umstieg ist noch weit.

Von Martin TeiglerMartin Teigeler

"500 wichtige Meter Richtung Klimaneutralität" - das waren die Worte von Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), als am Donnerstag in Holzwickede erstmals eine Leitung der öffentlichen Erdgasversorgung für den Transport von 100 Prozent Wasserstoff umgestellt wurde. Das Projekt könne "zur Blaupause für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft" werden.

Neubaur reiht sich ein in eine ganze Reihe von Ankündigungen nordrhein-westfälischer Regierungsmitglieder zu Wasserstoff als Treiber für die Energiewende. Nicht erst die frühere schwarz-gelbe Landesregierung, sondern bereits der ehemalige Ministerpräsident und Bundesminister Wolfgang Clement (damals SPD) schwärmte vor 20 Jahren über die Chancen, die Wasserstoff biete. Doch der Weg dahin scheint nach wie vor weit:

Was ist Wasserstoff?

Für die Gewinnung von reinem Wasserstoff (chemisches Symbol: H) durch die Aufspaltung von Wassermolekülen wird relativ viel Energie benötigt. Da Wasserstoff auf der Erde nur in gebundener Form vorkommt, muss er erstmal in Reinform gewonnen werden - und das geschieht bislang meist aus Erdgas.

"Grüner" Wasserstoff ist Wasserstoff, bei dessen Herstellung keine Abgase wie CO2 entstehen. Wasser wird hier durch Erneuerbare Energien in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Die Energie kommt zum Beispiel aus Wind- oder Solaranlagen. Und der grüne Wasserstoff soll nach den Plänen von Bund und Ländern die Energiewende vorantreiben, in dem es Erdgas etwa in der Industrieproduktion ersetzt. Der vom Bund geförderte Wasserstoffatlas zeigt Anlagen zur Erzeugung von grünem Wasserstoff - NRW spielt da bisher eher am Rande eine Rolle.

Was plant die schwarz-grüne Landesregierung?

Wasserstoff könne bei energieintensiven Industrien mit Prozessen, die nicht elektrifiziert werden können, fossile Energien ersetzen, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen. Deshalb will die Landesregierung "den Einsatz des verfügbaren Wasserstoffs zuerst dort konzentrieren". Erst "mittelfristig können sich für Wasserstoff bei entsprechender Verfügbarkeit Optionen für Wärme in Gebäuden ergeben".

NRW will Leitungen zu niederländischen, belgischen und norddeutschen Häfen oder Einspeisepunkten sicherstellen. Die Landesregierung will den Transport von flüssigem Wasserstoff über den Wasser- und Schienenweg ermöglichen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll beschleunigt werden, um mehr grünen Wasserstoff zu erzeugen.

Wie soll Wasserstoff bei der Energiewende helfen?

"Grüner Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein der Energiewende in Nordrhein-Westfalen", sagt Dirk Jansen vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Aber Schwarz-Grün müsse "falsche Weichenstellungen" der Vergangenheit schnellstmöglich korrigieren. Dem ehemaligen NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) war von Grünen und Umweltschützern immer wieder vorgeworfen worden, zu stark auf den Import von Wasserstoff gesetzt zu haben - ohne Nachhaltigkeits- und soziale Kriterien.

Um größtmögliche Energiesouveränität zu erlangen, müssten die heimischen Potenziale viel stärker genutzt werden, fordert Jansen. "Das bedarf eines beschleunigten Ausbaus der erneuerbaren Energien sowie die Förderung auch kleiner, dezentraler Lösungen statt einer alleinigen Konzentration auf Großprojekte." Das Projekt in Holzwickede weise da in die richtige Richtung: "Nutzung einer bestehenden Pipeline-Infrastruktur, lokale Sonnenstromproduktion zur Versorgung eines Elektrolyseurs."

Welche weiteren Probleme und Hürden gibt es?

Ein zentrales Problem: Für den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft wird ein Netz von Pipelines gebraucht, um das Gas beispielsweise zu den Industriebetrieben an Rhein und Ruhr zu transportieren. Doch das gibt es bisher kaum.

2027 soll laut Landeswirtschaftsministerium ein Netz von 3.000 Kilometer Länge stehen. In Nordrhein-Westfalen besteht gegenwärtig lediglich ein etwa 240 Kilometer langes Wasserstoffnetz des französischen Gasehersteller Air Liquide, das vom nördlichen Ruhrgebiet den Rhein entlang bis Köln, Dormagen und Leverkusen verläuft.

Wegen der kriegsbedingten Abkehr von der Erdgasversorgung aus Russland werden derzeit Flüssiggas-Terminals an der deutschen Küste gebaut. Wie lange diese LNG-Terminals als Übergangsversorgung mit Gas aus anderen Teilen der Welt genutzt werden sollen, ist offen. Kritiker warnen davor, von der einen in die andere Abhängigkeit zu wechseln. Diskutiert wird auch, wie diese Infrastruktur von Gas auf Wasserstoff umgerüstet werden kann. Dabei gibt es einige technische Herausforderungen.

Dirk Jansen vom Umweltverband BUND warnt. Wenn jetzt eine neue fossile Infrastruktur (LNG-Terminals, Pipelines, Gaskraftwerke) aufgebaut werde, verlängere sich mangels grünen Wasserstoffs das "fossile Zeitalter künstlich".

Über das Thema berichten wir am 20.10.22 u.a. in WDR aktuell und in der Aktuellen Stunde.