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Anschlagsplan: Diskussion um Geheimdienste
Stand: 22.10.2024, 11:55 Uhr
Nach den vereitelten Anschlagsplänen gegen die israelische Botschaft in Berlin wird einmal mehr um das heikle Thema Vorratsdatenspeicherung gestritten.
Von Nina Magoley
Wieder einmal wurde ein mutmaßlich geplanter Terroranschlag in Deutschland offenbar gerade noch verhindert. Am Samstag hatte die Polizei einen Libyer in Bernau bei Berlin festgenommen, der im Verdacht steht, Unterstützer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu sein. Laut Ermittlern soll er geplant haben, die israelische Botschaft in Berlin mit Schusswaffen anzugreifen.
Und wieder einmal kam der Hinweis auf den Verdächtigen von einem ausländischen Nachrichtendienst - wie schon in zahlreichen anderen Fällen zuvor. "Wir sind in hohem Umfang auf Informationen von ausländischen Sicherheitsbehörden angewiesen", sagte CDU-Politiker Wolfgang Bosbach dem WDR. "Wir müssen uns langsam fragen, warum unsere Dienste nicht in der Lage sind, diese Hinweise selber zu erhalten, durch eigene Quellen."
Einzeltäter vorab oft nur digital aufzuspüren
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat schon häufig beklagt, dass den Behörden in Deutschland die Möglichkeiten fehlten, mutmaßliche Terroristen digital beobachten zu können: Mit der Speicherung von IP-Adressen etwa oder der besseren Überwachung von Telefonkontakten. "Wir brauchen mehr Möglichkeiten und Befugnisse im Netz, um Extremisten noch früher das Handwerk zu legen", hatte Reul wiederholt gefordert.
Parteiübergreifend wächst die Forderung nach mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden etwa bei der Vorratsdatenspeicherung. Die Unionsparteien fordern von der Ampel-Koalition Nachschärfungen, aber auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach das Thema zuletzt häufig an.
Dass die Koalition in Berlin sich nicht wenigstens auf eine Mindestzeit bei der Datenspeicherung einigen könne, liege vor allem an der FDP, sagte Bosbach. "Eine Partei, die so um die drei Prozent pendelt, hält jetzt die Sicherheit in Deutschland auf."
Speichervorschrift ist da - aber ausgesetzt
Dabei enthält das aktuell gültige Telekommunikationsgesetz (TKG) durchaus klare Anweisungen: Telefonanbieter müssten demnach Telefonverbindungen, deren Zeit und Dauer und auch IP-Adressen von Internetnutzern zehn Wochen lang speichern. Eine Speicherzeit von vier Wochen ist vorgeschrieben für die Dokumentation der Funkzellen bei mobilen Telefongesprächen.
Aber: Diese Anweisungen bestehen nur auf dem Papier. "Es handelt sich um 'totes Recht', also nicht anwendbare Regelungen", erklärt ein Sprecher des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit auf Anfrage.
Nach Angaben des Bundesjustizministeriums wird die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland "bereits seit mehreren Jahren nicht mehr durchgesetzt" - weil sie europarechtswidrig seien. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit mehreren Urteilen erklärt, zuletzt im September 2022. Das Bundesverwaltungsgericht folgte diesem Urteil und erklärte die Klauseln 2023 für nicht anwendbar.
Streit um Sicherheitspaket
Zwar hat der Bundestag vergangenen Freitag ein neues "Sicherheitspaket" der Bundesregierung verabschiedet - das auch Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung enthält. Die aber sind den unionsgeführten Ländern im Bundesrat zu lasch, weswegen sie ihre Zustimmung zu dem Paket verweigerten.
"Die Behörden müssen die Kompetenzen haben, die sie eben brauchen", sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Montag dem WDR. NRW habe eine "Lösung" zur Vorratsdatenspeicherung vorgeschlagen, die rechtskonform wäre. Das sei aber "mit der Ampel wieder nicht zu machen".
In einem Entwurf hatte NRW vorgeschlagen, IP-Adressen einen Monat lang zu speichern, "samt eventuell vergebener Port-Nummern". Eine "Mindestspeicherung von Standortdaten bei mobiler Internetnutzung ist nicht vorgesehen". Wollten Ermittler die Daten nutzen, wäre ein Gerichtsbeschluss nötig.
Nach Wüsts Auffassung lässt das EU-Recht Verkehrsdatenspeicherung, um Terrorismus oder schweren Kindesmissbrauch aufzudecken, zu. Es sei möglich, die Vorratsdatenspeicherung rechtssicher einzusetzen. "Die Ampel ist aber nicht willens, diese Lösung zu nutzen."
Grüne formulieren Zustimmung - indirekt
Auch Wüsts grüne Koalitionspartner unterstützen den Vorstoß offenbar - wenn auch reichlich verklausiert: Man stehe "offenbar vor einer neuen Welle islamistischen Terrors in Europa und zugleich einer weiterhin hohen Bedrohung durch den Rechtsterrorismus", sagte Julia Eisentraut, Sprecherin der Landtagsfraktion der Grünen für Digitalisierung und Datenschutz, auf WDR-Nachfrage. Dabei komme dem Internet eine immer stärkere Bedeutung zu.
"Das NRW-Maßnahmenpaket sieht daher den anlassbezogenen Zugriff der Sicherheitsbehörden auf Verkehrsdaten im engen Rahmen der EU-Rechtsprechung und nach richterlicher Genehmigung vor."
SPD: "Ergebnisoffen" prüfen
Die SPD-Fraktion im Landtag zeigt sich ebenfalls offen: Der Anstieg von Straftaten und deren Planung, die hauptsächlich im Internet stattfinde, erfordere "konsequentes staatliches Handeln", sagte Elisabeth Müller-Witt, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, dem WDR. Die Möglichkeiten und Kompetenzen der Sicherheitsbehörden müssten diesbezüglich genau überprüft werden. Dabei solle "ergebnisoffen" analysiert werden, "ob und wie eine verhältnismäßige und den Vorgaben des EuGH entsprechende, rechtssichere IP-Adressen-Speicherung möglich ist".
Buschmann will "Quick-Freeze-Verfahren"
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will statt einer generellen Vorratsdatenspeicherung das sogenannte Quick Freeze-Verfahren einführen. Dabei können Ermittlungsbehörden relevante Telekommunikationsdaten im Bedarfsfall bei den Providern einfrieren lassen, wenn der Verdacht auf eine Straftat von erheblicher Bedeutung - wie Totschlag oder Mord - besteht.
Die Daten dürfen dann vorerst nicht mehr gelöscht werden, neu anfallende Daten müssen gesichert werden. Wenn sich im Verlauf der weiteren Ermittlungen zeigt, dass die Daten tatsächlich für das Verfahren relevant sind, dürfen die Ermittler in einem zweiten Schritt auf die relevanten Daten zugreifen. Sowohl das Einfrieren als auch die spätere Übermittlung an die Behörden benötigen eine gerichtliche Anordnung.
Nach Auffassung der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit widersprechen diese Vorschläge den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs "vom Grunde her nicht".