Vorratsdatenspeicherung und Quick Freeze: Was bedeutet das eigentlich?
Stand: 08.10.2024, 14:40 Uhr
Wie kommen Ermittler besser an Daten von Verdächtigen, um schwere Kriminalität wie sexualisierte Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen? Politische Forderungen im Überblick.
Von Jörn Seidel
Immer wieder ist von Vorratsdatenspeicherung die Rede, um schwere Kriminalität besser bekämpfen zu können. Was ist damit eigentlich gemeint? Was will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) mit dem sogenannten Quick Freeze erreichen? Und was steckt hinter der Forderung nach IP-Adressen-Speicherung von NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne), die er am Dienstag in einer Pressekonferenz zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder formuliert hat? Fragen und Antworten:
Was bedeutet Vorratsdatenspeicherung?
Louisa Specht-Riemenschneider, Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Laut Louisa Specht-Riemenschneider, der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, richtet sich die Vorratsdatenspeicherung an Anbieter von öffentlich zugänglichen Telekommunikations- und Internetdiensten. Sie sollen sogenannte Verkehrsdaten über einen gesetzlich vorgegebenen Zeitraum auf Vorrat speichern.
Verkehrsdaten sind Informationen, die dokumentieren, wer mit wem, wann und wie lange telefoniert hat. Bei Bedarf sollen die Daten Strafverfolgungsbehörden, Nachrichtendiensten oder Behörden zur Verfügung gestellt werden, die sich mit der Gefahrenabwehr befassen.
Gibt es in Deutschland zurzeit Vorratsdatenspeicherung?
Nein. Aktuell ist die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ausgesetzt. Denn so, wie sie zuletzt beschlossen wurde, ist sie nicht rechtens. Mobilfunk- und Standort-Daten sowie IP-Adressen aller Nutzer anlasslos und wochenlang zu speichern, das sei mit EU-Recht nicht vereinbar, urteilte der Europäische Gerichtshof 2016 und 2022.
In diesem Jahr lockerte das Gericht seine Haltung aber etwas. Nun gibt es für die Kriminalitätsbekämpfung mehr Ausnahmen. Seitdem wird in der Politik wieder verstärkt diskutiert, wie sich doch noch rechtskonform Daten von mutmaßlichen Kriminellen speichern lassen, um sie leichter überführen zu können.
Was bedeutet Quick Freeze, wie es Bundesjustizminister Buschmann fordert?
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP)
Justizminister Marco Buschmann möchte das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren einführen. Dabei können die Ermittlungsbehörden laut Bundesjustizministerium "relevante Telekommunikationsdaten ('Verkehrsdaten' wie z. B. IP-Adressen oder Telefonnummern) umgehend bei den Providern einfrieren lassen, wenn der Verdacht auf eine Straftat von erheblicher Bedeutung (z. B. Totschlag oder Mord) besteht".
Diese Daten dürfen dann also vorerst nicht mehr gelöscht werden, und auch neu anfallende Daten müssen gesichert werden. "Wenn sich im Verlauf der weiteren Ermittlungen zeigt, dass die Daten tatsächlich für das Verfahren relevant sind, dürfen die Ermittler in einem zweiten Schritt auf die relevanten Daten zugreifen", so das Ministerium auf seiner Website.
Die Ermittler benötigen gleich zweifach eine Genehmigung von Richterinnen und Richtern: Eine gerichtliche Anordnung ist nach Buschmanns Plänen sowohl für das Einfrieren als auch die spätere Übermittlung an die Behörden nötig.
Was steckt hinter der von NRW-Justizminister Limbach geforderten IP-Adressen-Speicherung?
NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne, zweiter von rechts)
An der Seite von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bekräftigte Justizminister Benjamin Limbach am Dienstag bei einer Pressekonferenz eine Forderung, die Ende September auch der Bundesrat per Beschluss an den Bund richtete: Dieser solle eine "sichere Grundlage zur Speicherung von IP-Adressen durch Telekommunikationsanbieter und Internet-Dienstbetreiber" schaffen.
Die Forderung geht zurück auf eine Initiative aus Hessen für eine befristete, anlasslose Speicherung von IP-Adressen. Begründet wird die Forderung im Gesetzesentwurf so:
"Bei Straftaten, die mittels Internet begangen werden, stellt die IP-Adresse des Täters häufig den einzigen, immer aber den ersten, effizientesten und schnellsten Ermittlungsansatz für die Strafverfolgungsbehörden dar. Ohne die Zuordnung der IP-Adresse zu einem Anschlussinhaber laufen die Ermittlungen oft ins Leere, wenn keine anderen Spuren vorhanden sind."
Die IP-Adressen würden laut Gesetzentwurf einen Monat gespeichert "samt eventuell vergebener Port-Nummern". Eine "Mindestspeicherung von Standortdaten bei mobiler Internetnutzung ist nicht vorgesehen". Wollen Ermittler die Daten nutzen, ist ein Gerichtsbeschluss nötig.
In dem Entwurf ist auch eine Kritik am Quick Freeze enthalten: Dieses Verfahren werde "von der Mehrheit in der Strafrechtspraxis als ineffizient betrachtet". Außerdem gehe mit Quick Freeze ein erheblicher Mehraufwand einher - nicht nur für die antragstellenden Ermittler, sondern auch für die Gerichte.
Unsere Quellen:
- Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
- NRW-Justizminister Benjamin Limbach
- Nachrichtenagentur dpa
- Gesetzentwurf des Bundesrates "zur Einführung einer Mindestspeicherung von IP-Adressen für die Bekämpfung schwerer Kriminalität"
- Website des Bundesjustizministeriums
Über dieses Thema berichten wir am 08.10.2024 um 18.45 Uhr auch in der Aktuellen Stunde im WDR-Fernsehen.