07.02.2022, Bocholt, Start der elektrifizierten Strecke: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und der damalige Bahnvorstand Ronald Pofalla (beide CDU)

Verkehrswende: Warum sich Pendler im RE19 gerade ärgern

Stand: 08.05.2023, 12:54 Uhr

Die Bahnstrecke Wesel-Bocholt ist verbunden mit dem Versprechen der Verkehrswende: Auch wer auf dem Land lebt, soll dies ohne Auto tun können. Wer das allerdings mit dem RE19 versucht, verzweifelt gerade.

Von Martin TeiglerMartin Teigeler

Es ist ein Termin im beginnenden Wahlkampf: Im Februar 2022 eröffnet Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im westmünsterländischen Bocholt die gerade neu elektrifizierte Bahnstrecke Richtung Wesel. Erstmals fährt der Zug von dort ohne Umsteigen bis nach Düsseldorf. Vorher mussten Reisende in Wesel den Zug wechseln. Rund drei Monate vor der Landtagswahl verspricht Wüst in seinem Heimatwahlkreis eine "Beschleunigung der Strecke" und einen "echten Vorteil".

 Ein Regionalzug der Linie RE19, Rhein-IJssel-Express, unterwegs zwischen Düsseldorf und Arnheim. Betreiber ist seit dem 01.02.2022 Vias Rail, da ihr Vorgänger Abellio Rail NRW Insolvenz anmelden musste

Ein Regionalzug der Linie RE19, hier auf dem Streckenabschnitt zwischen Wesel und Arnheim

Gemeinsam mit Wüst ruft der damalige Infrastruktur-Vorstand der Bahn und Ex-CDU-Politiker Ronald Pofalla in Bocholt die "grüne Verkehrswende" als Ziel aus, wie die Lokalpresse schrieb. Auch der WDR berichtet damals. Gerade auf dem Land muss das ÖPNV-Angebot massiv ausgebaut werden, damit mehr Menschen öfter mal das Auto stehen lassen und mit dem Zug fahren. Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Wir wollen Mobilität in der Stadt sowie im ländlichen Raum zuverlässig, nachhaltig, barrierefrei und sicher gestalten."

Gut ein Jahr später sieht das Vorzeigeprojekt RE19 ziemlich derangiert attraktiv aus. Zugreisende von Arnheim oder Bocholt Richtung Düsseldorf (in Wesel werden beide Zugteile vereinigt beziehungsweise getrennt) müssen regelmäßig mit Verspätungen, Ausfällen und langatmigem Schienenersatzverkehr per Bus leben. "Es ist ne Katastrophe, ich bin echt verzweifelt, was die Zugfahrt zwischen Oberhausen Sterkrade und Düsseldorf angeht, weil ich hier zur Arbeit muss", sagt eine RE19-Kundin dem WDR.

Der Streckenverlauf des RE19

Der Streckenverlauf des RE19

Birgit Schorn aus Empel-Rees – einem Örtchen kurz vor der niederländischen Grenze – muss improvisieren, bevor sie in den Zug steigt: "Der fährt jetzt bis Oberhausen und dann gibt es einmal den Lokalbus und einmal den Expressbus. Ich nehme den Express bis Wesel und dann habe ich einen ganz lieben Ehemann, der mich von da aus abholt." Für Berufspendler ist die Zugverbindung somit nicht wirklich verlässlich.

Viele Störungen und Verspätungen

  • Laut Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) ist der RE19 "besonders von Baumaßnahmen, Umleitungsverspätungen und Infrastrukturstörungen betroffen".
  • Laut Mitteilungen von Zuginfo.NRW, ein offizieller Online-Service der Eisenbahnunternehmen, gab es auf der Linie RE19, die von Düsseldorf nach Bocholt und ins niederländische Arnheim fährt (die beiden Zugteile werden in Wesel getrennt) allein im März 2023 mehr als 120 Störungen, Verspätungen und (Teil-)Ausfälle.

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  • Als Gründe wurden unter anderem angegeben: kurzfristige Personalausfälle, hohe Krankenstände, Reparaturen am Zug, Umleitungen, Baustellen, Verkehrsunfälle und Streikauswirkungen.
  • Die Statistik des Schienenverkehr-Qualitätsmonitors NRW zum RE19 ist nicht auf dem aktuellen Stand. Den letzten Angaben aus dem Jahr 2022 zufolge waren nur 68,2 Prozent der RE19-Züge pünktlich. Demnach gilt ein Zug ab einer Verspätung von mehr als 3:59 Minuten als unpünktlich. Im Schnitt lag der NRW-Nahverkehr im letzten Quartal 2022 bei einer Pünktlichkeitsquote von 77,5 Prozent.

Personalmangel - eine Ursache der Ausfälle

Betreiber des RE19 ist seit Februar 2022 Vias Rail. Das Unternehmen übernahm die Strecke durch eine Notvergabe des VRR, da der Vorgänger Abellio in Insolvenz ging. Ein Vias-Sprecher teilt mit: "Die Einschränkungen und Ausfälle sind unter anderem durch kurzfristige krankheitsbedingte Personalausfälle aufgetreten, wie sie weiterhin in allen Teilen der Branche vorherrschen." Zudem sei man besonders "stark durch Bauarbeiten betroffen gewesen".

Das WDR5 Stadtgespräch aus Wuppertal zu der Frage "Steckt NRW im Dauerstau fest?"

Lothar Ebbers, Sprecher von Pro Bahn in NRW

"Es gibt hausgemachte Probleme bei Vias, die unter anderem mit Personalmangel zu kämpfen haben", sagt Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn in NRW. Dem Unternehmen seien Mitarbeiter abhanden gekommen. Vias verweist auf den "Fachkräftemangel".

Ex-Abellio-Mitarbeiter täten sich schwer mit den Folgen der Insolvenz, sagt Sven Schmitte von der Lokführergewerkschaft GdL in NRW. "Das gilt aber nicht nur für die Beschäftigten, die jetzt für Vias arbeiten, sondern genauso auch für die, die zu anderen Betreibern gewechselt sind. Das hat Unzufriedenheit und ein ungutes Gefühl hinterlassen." Aber man arbeite mit Vias als Tarifpartner gut zusammen.

Ein generelles Problem sei der Personalmangel bei Lokführern, berichtet GdL-Mann Schmitte. "Der Markt ist leer. Die Unternehmen haben viel zu wenig ausgebildet. Jetzt findet eine Kannibalisierung untereinander statt." Hinzu komme ein seit Jahren hoher Krankenstand von bis zu 22 Prozent. "Ein Grund dafür ist die anhaltende Dauerbelastung durch zu wenig Personal und die vielen Baustellen im Zugverkehr." Das sorge für Instabilität in den Dienstplänen. "Dadurch wird der Stress der Kollegen noch schlimmer", sagt Schmitte. Eine Folge: Etliche wechseln den Job.

Besserung ab 2030 in Sicht

Zugreisende, die regelmäßig den RE19 nutzen, müssen jetzt ganz stark sein: Denn Besserung ist nicht wirklich in Sicht. Die Strecke wird weiter von Sperrungen und Baustellen betroffen sein - insbesondere durch den Ausbau der Güterstrecke Betuwe-Linie nach Holland.

Laut Lothar Ebbers von Pro Bahn wird der südliche Teil der Linie "nicht vor 2030 fertig". Es stehen auf Jahre massive "Sperrpausen" auf dem Bahn-"Hochleistungskorridor" Oberhausen-Emmerich an.

Und was sagt die Politik? Eine Sprecherin von NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) teilt auf WDR-Anfrage mit, man habe "großes Verständnis" für den "Unmut vieler Fahrgäste über den hohen Grad an Unpünktlichkeit" beim RE19. Alle Beteiligten arbeiteten derzeit hart daran, "die Situation nachhaltig zu verbessern, insbesondere auch die Information der Fahrgäste".

Eine "Potemkinsche Bahnstrecke"?

Verkehrsminister Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen, l) und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, vorne rechts) kommen zu einer Sondersitzung des Verkehrsausschusses.

Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne, l) und Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, vorne rechts)

In den weiter notwendigen "Sperrpausen" auf der Ausbaustrecke Emmerich-Oberhausen verweist das Ministerium die Reisenden auf einen "möglichen eingleisigen Betrieb" zwischen Wesel und Oberhausen. Zusätzlich würden Expressbuslinien angeboten. Hinter vorgehaltener Hand fällt aus den Reihen von Schwarz-Grün das Wort von der "Potemkinschen Bahnstrecke", die Ex-Verkehrsminister Wüst in seinem Wahlkreis eingeweiht habe. Schöne Fassade, wenig dahinter.

Doch der RE19 ist nur ein Negativbeispiel von mehreren. Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn stellt dem Schienennahverkehr in NRW derzeit insgesamt ein schlechtes Zeugnis aus: "Nicht nur bei Vias gibt es Probleme, sondern unter anderem auch bei der DB Regio. Die Verhältnisse sind teilweise qualitativ schlimm." Es gebe massive Ausfälle und Notfahrpläne. Schlechte Aussichten also für die vielen Menschen, die seit dem 1. Mai mit ihrem 49-Euro-Ticket öfter mal in einen Zug steigen.

Über das Thema berichtet der WDR am 08.05.23 im Westblick auf WDR 5.

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