Bilanz des Pilotprojekts zur Vier-Tage-Woche

Aktuelle Stunde 18.10.2024 21:55 Min. Verfügbar bis 18.10.2026 WDR Von Claudia Beucker

Studie zur Vier-Tage-Woche: Mehr Zufriedenheit, mehr Produktivität

Stand: 18.10.2024, 16:57 Uhr

Viel wurde bereits über die Vier-Tage-Woche diskutiert. Jetzt zeigt eine Studie, was eine Verkürzung der Arbeitszeit bringen könnte - und was nicht.

Von Nina Magoley

Nur vier Tage arbeiten für den Lohn von fünf Tagen. Für Arbeitnehmer klingt das erstmal sehr gut. Und viele Arbeitgeber bieten mittlerweile schon solche reduzierten Arbeitszeitmodelle an - auch, weil ihnen bei der Suche nach Fachkräften kaum etwas Anderes übrig bliebt.

Welche Auswirkungen das haben kann, zeigt eine Studie der Uni Münster, die am Freitag vorgestellt wurde. 45 Unternehmen und Organisationen aus ganz Deutschland und diversen Branchen haben teilgenommen. Sechs Monate lang testeten sie reduzierte Arbeitszeitmodelle. Per Fitnesstracker und Haarproben wurden die Mitarbeitenden während dieser Zeit auf ihren gesundheitlichen Zustand und ihren Stresspegel hin beobachtet.

Das Ergebnis kurz zusammengefasst: Die Lebenszufriedenheit der Mitarbeiter stieg signifikant, das Stresslevel sank, die Arbeitszufriedenheit blieb unverändert. Die Produktivität stieg laut Studie trotz reduzierter Arbeitszeit. Was allerdings ebenfalls unverändert blieb: Die Krankmeldungen. Das sei überraschend, sagt Studienleiterin Julia Backmann von der Uni Münster. "Vielleicht braucht es länger, bis der positive Effekt der Stressreduzierung folgt."

Drei Viertel aller beteiligten Unternehmen wollen das Modell jedenfalls beibehalten.

Mehr Kreativität und mehr Umsatz

Unter den Teilnehmern der Studie war auch das Steuerberaterbüro Urban und Göbel in Schönaich bei Stuttgart. Bei der Vorstellung der Studie am Freitag in Düsseldorf berichtete Harald Urban über die Erfahrungen seines 16-köpfigen Teams mit der Vier-Tage-Woche. Der Leistungsdruck auf seine Mitarbeiter sei seit der Pandemie so enorm gestiegen, dass es jetzt an der Zeit für eine "Burnout-Prophylaxe" gewesen sei. 32 Stunden wird seitdem in dem Büro nur noch gearbeitet, bei vollem Lohnausgleich.

Mit dem Ergebnis seien alle zufrieden, so Urban: Die Eigeninitiative der Mitarbeiter sei deutlich gestiegen, heute kämen von ihnen Impulse, die zuvor nur von der Geschäftsleitung ausgingen. Beim Umgang mit digitalen Tools wie ChatGPT seien die Mitarbeiter höchst kreativ geworden. Und: In der Testzeit von sechs Monaten sei der Umsatz der Firma gestiegen.

Deutsche arbeiten mit am wenigsten

Über den Sinn der Vier-Tage-Woche herrscht bei Arbeitgebern aber keineswegs Einheit: Sie sei zwar "ein verlockendes Modell", sagt Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), auf WDR-Anfrage. Wohlstand und das hohe Niveau der sozialen Sicherung in Deutschland ließen sich damit aber nicht halten.

Im internationalen Vergleich arbeiteten die Deutschen über das Jahr gerechnet schon heute mit am wenigsten. "Wer noch weniger arbeiten will, muss die Produktivität erheblich steigern – also in kürzerer Zeit mehr leisten. Das ist uns in den zurückliegenden Jahren nicht gelungen."

BDA: "Studie nicht repräsentativ"

Eine junge Frau sitzt an einem Schreibtisch vor einem Computer und Büchern und hält sich die Hände an die Schläfen

"Produktivität steigern"

Die neue Studie hält Kampeter zudem für nicht repräsentativ für die deutsche Wirtschaft: Sie basiere nur auf einer kleinen Zahl von Unternehmen. "Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, haben sich bewusst gegen eine Teilnahme an dem Versuch entschieden." Sie wüssten, dass es "Produktivitätsreserven in diesen Größen" nicht gebe.

"Letztlich wäre eine Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich nur eine massive Lohnsteigerung, die sich die allermeisten Unternehmen nicht leisten könne", sagt der BDA-Chef, und schlägt vor, statt dessen über flexible Arbeitszeiten zu reden: "Da, wo es passt, Montag bis Donnerstag mal mehr arbeiten und Freitag frei – das sollte möglich sein, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber das vereinbaren."

CDU-Fraktion ist skeptisch

Auch in der Landesregierung herrschen sehr unterschiedliche Ansichten. Aus der CDU-Fraktion ist Skepsis zu hören. Zwar könnten sich Vorteile wie eine bessere Work-Life-Balance und eine gesteigerte Attraktivität für Arbeitnehmer ergeben, sagt Marco Schmitz, arbeitspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. In Branchen mit Fachkräftemangel oder in Berufen mit hoher Präsenzpflicht wäre die Umsetzung aber schwierig.

Der Druck könnte steigen, meint Schmitz: "Weniger Arbeitskräfte stünden für dieselbe Menge an Aufgaben zur Verfügung." Stattdessen sollte es mehr Anreize für Rentner geben, länger im Berufsleben zu bleiben.

Auch die Forderung nach vollem Lohnausgleich sieht Schmitz kritisch: "Das könnte viele Unternehmen finanziell überfordern." Letztlich liege die Entscheidung zu einem verkürzten Arbeitszeitmodell aber "klar in der Verantwortung der Unternehmen".

Vier-Tage-Woche funktioniert

WDR aktuell - Der Tag 18.10.2024 10:09 Min. Verfügbar bis 18.10.2025 WDR 3


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Grüne und SPD sehen Vorteile

Beim grünen Koalitionspartner der CDU in der Landesregierung steht man dem Thema offener gegenüber: "Flexiblere und kreativere Arbeitszeitmodelle können ein Weg sein, Jobs für dringend benötigte Fach- und Arbeitskräfte attraktiver zu machen", sagt Benjamin Rauer, Sprecher für Arbeit in der Landtagsfraktion der Grünen. "Sie können sogar die Produktivität steigern, wenn sie dazu beitragen, den Krankenstand zu verringern und den Verbleib im Betrieb zu steigern."

Grundsätzlich stehe auch die SPD-Fraktion der Vier-Tage-Woche positiv gegenüber, sagt die arbeitspolitische Fraktionssprecherin Lena Teschlade. Flexiblere Arbeitszeiten könnten einen Beitrag leisten zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und gegen den Fachkräftemangel.

Arbeitgeber zur Vier-Tage-Woche zu verpflichten, hält Teschlade aber für falsch: "Betriebe sollten selbst in der Lage sein, die Vorteile zu erkennen, und dafür bei Bedarf auch Unterstützung bekommen können."

FDP: Falscher Zeitpunkt

Die FDP im Landtag bezweifelt, dass die derzeitige Wirtschaftskrise der richtige Zeitpunkt für eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibendem Lohn sei: "Wirtschaftliche Stagnation lässt sich nicht durch weniger Arbeitszeit überwinden", sagt die arbeitspolitische Sprecherin Susanne Schneider. Flexiblere Arbeitszeitmodelle könnten allerdings helfen, die Attraktivität von Arbeitsplätzen zu steigern und Fachkräfte zu gewinnen.

Schornsteinfeger: "Lernprozess ging schnell"

Für viele Betriebe stellt sich indessen gar nicht mehr die Frage, ob sie eine Vier-Tage-Woche anbieten oder nicht: "Der Bewerber, dem ich heutzutage keine Vier-Tage-Woche anbiete, wird nicht bei mir anfangen", hatte Andreas Ehlert, Präsident der Handwerkskammer NRW, dem WDR schon im August gesagt.

Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk.NRW und der Handwerkskammer Düsseldorf

Andreas Ehlert, Präsident Handwerk.NRW

Als Schornsteinfegermeister hat er zwei Mitarbeitende, die auf eigene Initiative zu einer Vier-Tage-Woche wechselten. In beiden Fällen habe er "nur positive Erfahrung gemacht". Wenn eine junge Mutter in seinem Betrieb beispielsweise die Möglichkeit habe, auch mal am späten Nachmittag oder frühen Abend zu arbeiten, komme das auch seinen Kunden entgegen, so Ehlert. Arbeitgeber müssten lernen, flexibel zu sein: "Der Lernprozess ging bei mir recht schnell."

Dennoch: "Die Vier-Tage-Woche ist kein Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel", sagte Ehlert am Freitag. Nicht jeder Betrieb könne ohne Weiteres eine verkürzte Arbeitswoche anbieten. Neueste Konjunkturdaten zeigten, dass derzeit mehr als jeder dritte Betrieb im Handwerk nach Fachkräften sucht. "In vielen Betrieben verlangt die Auftragslage also eher nach mehr als nach weniger Arbeit."

Quellen:

  • Pressekonferenz der Uni Münster am 18.10.2024 in Düsseldorf
  • Statements der Landtagsfraktionen von CDU, Grünen, SPD und FDP
  • Statements von BDA und Handwerkskammer NRW
  • Verband Unternehmer NRW