Polizisten in der Solinger Innenstadt

Kommentar: Warum der Anschlag in Solingen Behördenversagen ist

Stand: 26.08.2024, 16:22 Uhr

Nach dem Messerangriff von Solingen läuft die Debatte um die Schuldfrage. Hätten die Behörden den Anschlag verhindern können?

Von Klaus SchefferKlaus Scheffer

Was waren wir doch alle froh. Mitte Juli, nach dem Ende der Fußball-Europameisterschaft überall fröhliche Stimmung. In den Stadien und in den Fanmeilen hatten tausende Menschen gemeinsam gefeiert. Ausgelassen und teilweise überschäumend. Auch hier hatte es vorher einige Sorgen gegeben – vor Anschlägen, vor Terror.

Doch das Sicherheitskonzept ging auf. Auch wenn NRW-Innenminister Herbert Reul immer wieder vor der "abstrakt hohen Gefahr" gewarnt hatte, dass ein Attentat passieren könne. Jetzt aber nur wenige Wochen nach dem Endspiel, hat der Terror uns eingeholt. Drei Tote bei einer Messerattacke in Solingen.

Es gibt mehrere Wahrheiten

Die Frage: Haben wir uns trügerisch in Sicherheit gewogen? Haben wir es doch mit Behördenversagen bei der Terrorabwehr zu tun?

Die Antwort: Wie man‘s nimmt. Es gibt tatsächlich zwei Wahrheiten: Die eine: Der lange vorbereitete große Terroranschlag auf eine Veranstaltung wie eben eine Fußball-Europameisterschaft bedarf ausführlicher logistischer Vorbereitung.

Viele Menschen müssen zusammen agieren. Und genau hier greifen die Sicherheitsmechanismen von Geheimdiensten. Absprachen, die häufig übers Netz laufen, werden erkannt, ausgewertet und meistens reicht das aus, die Anschlagspläne zu vereiteln. Wie zum Beispiel auch in der Weihnachtszeit das geplante Attentat auf den Kölner Dom.

Es zu verhindern ist nicht unmöglich

Aber dann gibt es eben auch die anderen Täter. Radikalisiert, abgestumpft womöglich durch selbst erlebte Gewalt etwa in Syrien, planen sie ihren Anschlag allein, ohne Komplizen und komplizierte Infrastruktur. Und dann nehmen sie eines Abends das Messer mit zum Stadtfest und morden los.

Schwer zu verhindern, aber eben nicht unmöglich, wie wir jetzt sehen. Denn: Der mutmaßliche Täter von Solingen hätte längst nicht mehr in Deutschland sein dürfen. Sein Asylantrag war abgelehnt, er hätte schon im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden müssen. Dorthin, wo er in die Europäische Union eingereist war.

Den Versuch, diese Abschiebung zu vollziehen, hat es auch gegeben. Genau einmal. Da aber war der Mann gerade nicht da. Pech für die Vollzugsbehörde, weitere Versuche gab es augenscheinlich nicht.

Rechtsstaat muss Mittel nutzen

Und das ist der Skandal, und auch das Behördenversagen. Und damit die Verantwortung der in Nordrhein-Westfalen zuständigen Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne). Denn auch wenn niemand wissen konnte, dass exakt dieser Mann zum Attentäter werden würde, ist es diese Nicht-Konsequenz im Vollzug von Abschiebungen, die es potentiellen Tätern leichter macht. Es ist schlicht fahrlässig.

Und das umso mehr in Zeiten, in denen Populisten Anschläge wie den von Solingen nutzen, um Stimmung zu machen. Gegen Migranten, gegen Völkerverständigung und Vielfalt. Der Rechtsstaat muss seine Mittel nutzen, wenn es darum geht, Menschen aus Deutschland herauszuhalten, die gemäß den Regeln eben dieses Rechtsstaates nicht hier leben dürfen.

Josefine Pauls Verantwortung

Wenn das nicht gelingt und Terrortaten wie die von Solingen die Folge sind, nutzt das nur zwei Parteien: den Terroristen, denen es gelingt, Angst zu verbreiten und den radikalen Parteien, die an den Grundlagen der Demokratie sägen möchten.

Und wenn eine zuständige Ministerin in Düsseldorf nicht in der Lage ist, dem entgegen zu wirken, dann ist sie falsch in ihrem Job.

Weitere Themen