Bild aus dem April 2022: Hunderte Menschen demonstrieren gegen die Corona Maßnahmen in Düsseldorf

"Neue Staatsfeinde" mobilisieren gegen Demokratie in NRW

Stand: 16.08.2022, 17:30 Uhr

Politiker und Experten diskutieren über die Gefahr von gewaltbereiten Protesten und Aufstandsträumen von Rechtsaußen. Auch der NRW-Verfassungsschutz warnt vor Demokratiegegnern, die statt Corona auf neue Krisenthemen setzen.

Von Martin TeiglerMartin Teigeler

Teile der Corona-Protestszene wechseln laut NRW-Verfassungsschutz zunehmend zu anderen Themen wie den Ukraine-Krieg oder steigende Preise. "Die 'Neuen Staatsfeinde' greifen als demokratiefeindliche und sicherheitsgefährdende Delegitimierer des Staates damit alle Themen auf, die sich in irgendeiner Form gegen den Staat, seine Regierenden und staatliche Maßnahmen richten, der Staat und seine Repräsentanten werden als 'Schuldige' gebrandmarkt", so eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums auf WDR-Anfrage.

"Im Kern rund 20 Personen aus dieser Szene enger im Blick"

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte am Montag in einem TV-Interview gesagt: "Es geht jetzt nicht mehr um Protestler, sondern es geht fast um so was wie neue Staatsfeinde, die sich da etablieren." Themen wie der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und steigende Preise könnten "Verschwörungstheoretikern" neue Nahrung geben. Reul verwies auf entsprechende Chats auf Messengerdiensten wie Telegram.

Der Verfassungsschutz unterscheide "sehr genau, wer von seinem Demonstrationsrecht Gebrauch macht und seine Meinung kundtut und denjenigen, die den Umsturz unserer Demokratie herbeiführen wollen", so die Sprecherin des Ministeriums.

Der Verfassungsschutz habe "im Kern rund 20 Personen aus dieser Szene enger im Blick". Das seien aber nicht immer dieselben: "Manche fallen raus, andere kommen hinzu." Als weitere Themen, die diese Kräfte besetzen wollten, nannte sie "Klimawandel, Gendergerechtigkeit und Antiamerikanismus".

Angestrebt werde ein "Systemwechsel"

Die Szene verbinde "keine ideologische Klammer, sondern die Verachtung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Repräsentanten", so die Sprecherin. Angestrebt werde ein "Systemwechsel".

"Ganz so neu" sei das Phänomen nicht, sagte der Düsseldorfer Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler mit Blick auf die Corona-Proteste der letzten Jahre. Neu sei, dass unterschiedliche rechte Strömungen mit Milieus, die nicht von rechts kommen, zusammen agierten. Auch beobachtet Häusler, dass in der aktuellen "kulminierten Krisensituation" in Rechtsaußen-Milieus "von einem Aufstand geträumt" werde. Radikalisierte Personen könnten sich dann auch "zu Straftaten legitimiert sehen".

Grüne: Behörden müssen Entwicklungen genau beobachten

Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer

Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer

Verena Schäffer, Grünen-Fraktionschefin im Landtag, warnte: "Wir müssen davon ausgehen, dass das rechtsextreme Milieu versuchen wird, die Preissteigerungen und die Energiekrise als Mobilisierungsthema für sich zu nutzen, um ihre rassistischen und verschwörungstheoretischen Ideologien zu verbreiten."

Deshalb sei es wichtig, "dass die Sicherheitsbehörden die Entwicklungen in diesem Milieu weiterhin genau beobachten und die Öffentlichkeit informieren", sagte die Grünen-Politikerin. Für den Herbst und Winter werde es "wichtig sein, soziale Härten aufgrund der Energiekrise und der Inflation abzufedern".

Extremismusforscher: "Mitläufern klarmachen, wo sie mitlaufen"

Zugleich gibt es Stimmen, die davor warnen, Proteste gegen steigende Preise oder neue Belastungen der Verbraucher wie die Gas-Umlage pauschal abzuqualifizieren. Der Sozialverband Deutschland wandte sich zum Beispiel gegen "Schreckensszenarien" und das Herbeireden von sozialen Unruhen.

"Pauschalverurteilungen sind Wasser auf die Mühlen jener Gruppen, die den Opfermythos auf den Protesten bedienen", sagte der Bielefelder Extremismusforscher Andreas Zick. Ungerechtigkeitsgefühle in den Protesten seien Radikalisierungs- und Rechtfertigungsgrundlagen. Zick: "Umso mehr gilt es, eine genaue Analyse jener Kräfte vorzunehmen, die demokratisch legitime und erwünschte Proteste missbrauchen", so Zick. Mitläufern müsse man "klarmachen, wo sie mitlaufen."

Reichsbürger und rechtsextreme Terrorzellen

Diffuse Befürchtungen seien nicht zielführend, so Zick: "Wir müssen genau wissen, was wo entsteht und was mögliche Präventionskonzepte sind." Es komme darauf an, den neuen Extremismus genau zu bestimmen. Der Extremismusforscher teilt aber die Beunruhigung von Politikern, denn bei den Coronaprotesten hätten sich "neue radikale Milieus" gebildet. Zick nannte unter anderem Reichsbürgermilieus, die sich komplett abschotten, rechtsextreme Terrorzellen, Einzeltäter und Bürgerwehren.