Stromleitung

Erdkabel versus Freileitung: NRW warnt vor Verzögerung beim Netzausbau

Stand: 03.06.2024, 17:27 Uhr

Erdkabel für den Stromnetzausbau sind aufwendiger und teurer. In der erneuten Diskussion will NRW dennoch beim Erdkabel-Vorrang bleiben und warnt vor Verzögerungen.

Von Sabine TentaSabine TentaTobias ZacherTobias Zacher

Für die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien muss dringend das Stromnetz in Deutschland ausgebaut werden. Unter anderem, damit Strom vom windreichen Norden in den Süden kommt. Ebenso alt wie diese Netzausbaupläne ist eine Diskussion, die nun wieder aufflammt: Sollen die Kabel, die für diese großen "Stromautobahnen" nötig sind, in der Erde verbuddelt werden oder an riesigen Strommasten hängend über Land geführt werden?

Neue Nahrung erhält die Debatte unter anderem durch Zahlen der Bundesnetzagentur. Sie hat am Freitag einen aktuellen Umweltbericht veröffentlicht, mit Zahlen, Daten, Fakten zum Netzausbau. Demnach würde ein Verzicht auf Erdkabel bei den geplanten "Stromautobahnen" zu Einsparungen von 35,3 Milliarden Euro führen. Das gesamte Investitionsvolumen für den Ausbau der Übertragungsnetze liege bis 2045 bei rund 320 Milliarden Euro.

Warum haben Erdkabel aktuell Vorrang?

Strommasten und Windraeder rund um das Kohlekraftwerk Neurath des Stromkonzerns RWE.

Höchstspannungs-Kabel an Freileitungsmasten

Lange Zeit wurden die "Stromautobahnen" in Deutschland als Freileitungen gebaut, die an großen Masten hängen. 2016 hatte dann die damalige Bundesregierung aus CDU und SPD einen Vorrang für Erdkabel eingeführt. Vor allem die CSU-geführte Landesregierung in Bayern hatte darauf gedrängt. Sie fürchtete um die Akzeptanz in der Bevölkerung. Seit dem Erdkabel-Vorrang von 2016 sind Freileitungen nur noch in Ausnahmefällen erlaubt - zum Beispiel aus Naturschutzgründen, bei der Nutzung von Bestandstrassen oder auf besonderes Verlangen betroffener Kommunen.

Dass Erdkabel teurer sind und ihre Verlegung länger dauert als bei Freileitungen, war damals bereits bekannt und wurde bewusst in Kauf genommen, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen. Nun will die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag aber die Rolle rückwärts: Sie plant einen Antrag, demzufolge beim Netzausbau künftig wieder vor allem auf Freilandleitungen gesetzt wird. Dazu müsste das entsprechende Bundesgesetz geändert werden. Die Argumente: Freileitungen sind günstiger und schneller zu bauen. Damit ist auch die Diskussion in den Ländern eröffnet.

NRW-Ministerin Neubaur verteidigt Erdkabel-Vorrang

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) am 30.10.2023

Mona Neubaur (Grüne)

Aus der NRW-Landesregierung gibt es eine klare Absage an einen Kurswechsel beim Netzausbau. Mona Neubaur, Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie (Grüne), sagte dem WDR: "Beim dringend notwendigen Ausbau der Netze kommt es ganz besonders auf die Akzeptanz vor Ort an." In einem dicht besiedelten Industrieland wie NRW trügen Erdkabel entscheidend zur Akzeptanz bei, "das zeigen die Erfahrungen aus der Praxis". Neubaur argumentiert auch mit der "heimischen Wertschöpfung" durch in NRW produzierte Erdkabel.

In der aktuellen Diskussion über einen Wechsel auf Freileitungen sieht die Ministerin außerdem die Gefahr, "dass die Verzögerungen durch Umplanungen und mehr Einwendungen in Genehmigungsverfahren deutlich unterschätzt werden". Tatsächlich befinden sich in NRW derzeit zahlreiche Netzausbau-Projekte bereits im Genehmigungsprozess oder gar im Bau - und zwar als Erdkabel. Ein Wechsel auf Freileitungen würde dazu führen, "dass für gleich drei neue Gleichstromverbindungen neue Präferenzräume nunmehr für Freileitungstrassen gesucht werden müssten", heißt es aus dem Ministerium. Durch derartige Verzögerungen gingen "schnell mindestens genauso viel Zeit und Geld verloren, wie eingespart werden könnten", so Neubaur.

NRW will keine Abkehr von Erdkabel-Plänen

WDR 5 Westblick - aktuell 06.06.2024 05:29 Min. Verfügbar bis 06.06.2025 WDR 5


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Diese Verzögerungen befürchtet das Ministerium

Verzögerungen sieht das NRW-Wirtschaftsministerium bei diesen Punkten: Alternative Trassen bräuchten eine neue Umweltprüfung, bei Freileitungen müssten die "Artenschutzbelange des Vogelschutzes" berücksichtigt werden und die Planfeststellungsverfahren würden circa drei Jahre länger dauern. In Summe rechnet das Ministerium mit einer Verzögerung von "mindestens fünf Jahren".

Energieexperte Hirth: "Projekte jetzt auch umsetzen"

Professor Lion Hirth von der Hertie School

Professor Lion Hirth von der Hertie School

Bei der Frage nach Erd- oder Freiluft-Kabeln will sich Strommarktexperte Lion Hirth von der Berliner Hertie School ausdrücklich nicht für eine der beiden Varianten aussprechen - das sei letztlich eine gesellschaftliche Frage. Aber: "Wir müssen dringend diese Leitungen bauen", sagte er dem WDR. "Hauptsache sie kommen, und sie kommen schnell", so Hirth.

Deshalb plädiert er dafür, zumindest immer dann bei Erdkabeln zu bleiben, wenn eine Änderung auf Freiluft-Leitungen den Netzausbau um Jahre verzögert. "Lasst uns doch die Planung an den Projekten, die schon so weit gediehen sind, jetzt auch umsetzen", appellierte Hirth an die Politik. Für zukünftige Projekte, die noch weit von der Umsetzung entfernt sind, könnten Freiluft-Leitungen aber durchaus sinnvoll sein.

Die Positionen der anderen Bundesländer

Die Deutsche Presse-Agentur hat eine Umfrage in den Ländern zum angestrebten Kurswechsel der Union gemacht. Demnach sind auch Niedersachsen und Schleswig-Holstein gegen eine Abkehr vom Erdkabel-Vorrang. Andere Länder wiederum wollen gerne auf die Überlandleitung umschwenken. Zum Beispiel Hessen. Der Landes-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) zweifelt an der größeren Akzeptanz von Erdleitungen: "Heute sehen wir, dass auch breite Schneisen für Erdkabel vielerorts als Zumutung empfunden werden." Auch in Brandenburg sieht man keine größere Akzeptanz für das Erdkabel, sondern stattdessen lediglich eine Verlagerung, wie es aus dem dortigen Wirtschaftsministerium hieß.

Baden-Württemberg hebt die Vorteile der Freileitungen hervor, dazu gehörten unter anderem die geringeren Eingriffe in den Boden. Sachsen-Anhalt regt einen Verzicht auf jegliche Vorrang-Variante an, damit jeweils der praktikabelste Trassenverlauf gewählt werden könne. Rheinland-Pfalz plädiert dafür, dort auf Überlandleitungen zu setzen, wo sie den Prozess beschleunigen.

Der Stand des Netzausbaus in Deutschland

Die Bundesnetzagentur bietet eine Übersichtskarte, die recht anschaulich zeigt, wie weit die einzelnen Länder jeweils mit ihrem Netzausbau sind.

Wobei vier Bundesländer einen besonders großen Beitrag leisten. Darauf weist das Bundeswirtschaftsministerium in einem jüngst veröffentlichten Bericht hin. Demnach tragen die Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Bayern "die größte Last in Bezug auf zu genehmigende/realisierende Trassenkilometer". Neben den Länderprojekten gibt es noch Trassen, die von der Bundesnetzagentur genehmigt werden. Laut NRW-Wirtschaftsministerium sind in Nordrhein-Westfalen 11 von 21 Netzausbau-Vorhaben umgesetzt worden - mit einer Länge von 562 von 906 Kilometern, das entspricht 62 Prozent (Stichtag 31.05.2024).

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte bereits im März in der "Zeit" vor "schädlichen Verzögerungen" und skizzierte den politischen Weg der Kursänderung: "Wollte man auf Freileitungen umswitchen, ginge das allenfalls, wenn die Länder schnell und in großer Gemeinsamkeit inklusive Bayern die Bundesregierung auffordern, das zu tun." Und dann müssten alle "geschlossen in den Regionen dafür werben", mahnte Habeck. "Das halte ich für sehr unwahrscheinlich."

Der am 31.05.2024 veröffentlichte Bericht seines Ministeriums zum Netzausbau spricht von "ordentlich Fahrtwind beim Netzausbau" und verweist auf einen Anstieg der genehmigten Trassenkilometer: von 321 Kilometern im Jahr 2021, über 607 Kilometern im Jahr 2022 auf 1.379 Kilometern 2023. Für das Jahr 2024 rechnet das Ministerium mit 2.400 genehmigten Trassenkilometern.

Zur Einordnung: Die Gesamtlänge aller Netzausbauvorhaben an Land beläuft sich auf 13.679 Kilometer. Davon sind lediglich 1.930 Kilometer bereits im Betrieb und 1.519 Kilometer im Bau. Es bleibt also noch viel zu tun in Deutschland.