Schriftzug "Ausgesetzt!" vor einer Drohnenaufnahme eines Bauernhofs

Ausgesetzt: Wenn Wirklichkeit auf Politik trifft

Stand: 04.05.2022, 13:37 Uhr

Es ist ein spannendes TV-Experiment kurz vor der Landtagswahl: In der Aktuellen Stunde werden die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten buchstäblich ausgesetzt. Das sorgt für ziemlich kuriose Momente.

Von Nina Giaramita

Das Format "Ausgesetzt!" ist von Jonas Wixforth entwickelt worden. Er ist formatverantwortlich für die Aktuelle Stunde. Nach der Premiere zur Landtagswahl 2017 ist die erfolgreiche Reihe zur diesjährigen Wahl wieder aufgelegt worden.

WDR: Das Format heißt "Ausgesetzt!". Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Jonas Wixforth

Jonas Wixforth, Redakteur im WDR-Newsroom.

Jonas Wixforth: "Ausgesetzt" ist bei diesem Format ziemlich wörtlich zu verstehen: Wir nehmen die Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker der sechs größeren Parteien, setzen sie in einen Bulli und fahren sie an einen ihnen unbekannten Ort. Zusätzlich wissen sie nicht, auf wen sie dort treffen - und dort setzen wir sie tatsächlich aus.

WDR: Niemand setzt sich einer Situation gern ungeschützt aus. Aber hier geht es ja genau darum. Was macht das mit den Politikern und Politikerinnen?

Jonas Wixforth: Wir wollten damit die klassischen Regeln von Wahlkampf brechen. Politikerinnen und Politiker sind ja im Wahlkampf sehr viel unterwegs und treffen auf sehr viele Menschen. Gerade bei Medienterminen mit Kamera wissen sie aber oft, was und wer sie erwartet. Auf diese Termine werden sie von ihren Teams vorbereitet, denn Politikerinnen und Politiker haben in der Öffentlichkeit aus verständlichen Gründen gerne die Kontrolle über ihren Auftritt.

Aus dieser Komfortzone wollten wir sie heraus holen und sie möglichst unvorbereitet in Situationen bringen - um zu schauen, wie sie sich dann schlagen.

WDR: Die "Ausgesetzten" treffen auf ihnen völlig unbekannte Gesprächspartner. Wie sind die ausgewählt?

Jonas Wixforth: Das Interessante an dem Format ist, dass wir sie mit Menschen zusammenbringen, die ihnen gar nicht wohl gesonnen sind. Es sind Menschen, die politisch eine ganz andere Haltung haben oder einen Lebensstil pflegen, der mit der Überzeugung des jeweiligen Kandidaten oder Kandidatin überhaupt nicht übereinstimmt. Bei der letzten Landtagswahl 2017 haben wir die Spitzenkandidatin der Linken zum Beispiel in einem Club von Unternehmerinnen auf der Düsseldorfer Kö ausgesetzt.

Häufig entstehen dabei Situationen, in denen Politiker plötzlich in einer ihnen ganz fremden Wirklichkeit ankommen.

WDR: War es schwer, die Spitzenkandidaten und Spitzenkandidatinnen für das Format zu gewinnen?

Jonas Wixforth: Es ist nie ganz einfach, Politikerinnen oder Politiker davon zu überzeugen, bei so etwas mitzumachen - weil sie natürlich wissen, dass sie in ihrer Komfortzone, wo sie die Rahmenbedingungen kennen, am sichersten sind. Da können sie den bestmöglichen Auftritt hinlegen. Sobald diese Sicherheit weg ist, passiert plötzlich Überraschendes.

Beim letzten Mal hat es auch nicht mit allen Spitzenkandidaten geklappt. Die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft von der SPD wollte sich damals als Einzige nicht aussetzen lassen. Aber dieses Mal haben tatsächlich alle mitgemacht. Darüber sind wir sehr froh.

Diese sechs Treffen und die Dreharbeiten zu organisieren, ist sehr aufwendig. Vor allem, wenn es darum geht, die Termine, die Menschen, die Themen und die richtigen Orte zusammen zu bringen. Das ist eine richtige Teamleistung, bei der wir mit der landespolitischen Fachredaktion über Monate intensiv zusammen arbeiten.

WDR: Das Format entstand bei der Landtagswahl vor fünf Jahren und hat den Bremer Fernsehpreis erhalten. Was macht es so besonders?

Jonas Wixforth: Es gibt einmal die dramaturgische Besonderheit. Man fühlt häufig richtig mit den Politikerinnen und Politikern mit - wenn sie in diesem Bulli sitzen und nicht wissen, wo es hingeht. Man sieht, dass sie wirklich nervös sind. Was wir da machen, ist ja auch etwas, was es nicht sonderlich häufig gibt: Wir organisieren Dialog dort, wo er ansonsten sehr selten oder gar nicht stattfindet. Das begreifen wir auch ganz grundsätzlich als unsere gesellschaftliche Aufgabe.

Natürlich treffen Politikerinnen und Politiker in ihrem Alltag auf viele Menschen. Aber es sind oft Leute, die ihnen eher wohlgesonnen sind oder einer ähnlichen Klientel angehören. Und auch viele Wählerinnen und Wähler bewegen sich im Freundeskreis oder bei der Arbeit eher in einem Umfeld, das politisch ähnlich tickt. Deshalb ist es auch für die Menschen, die auf die Politiker treffen, eine sehr besondere Situation.

WDR: Werden dann nicht viele plötzlich auch schüchtern?     

Jonas Wixforth: Eigentlich nicht. Es ist eher verblüffend, wie viel Spaß einige Menschen dabei entwickeln, die Spitzenpolitiker in ihre Lebenswelt zu ziehen. Wir haben zum Beispiel Mona Neubaur von den Grünen in eine LKW-Kabine gesteckt. Sie ist dann mal eine Strecke mit einem LKW-Fahrer mitgefahren und hat sich auf sehr engem Raum die Sorgen und Nöte des Mannes anhören müssen. Die hohen Spritpreise zum Beispiel. Die grüne Spitzenkandidatin saß für den Dreh tatsächlich das erste Mal in einem LKW.

Joachim Stamp von der FDP haben wir dagegen zu Landwirten geschickt. Und dann steht er plötzlich in Anzug und Krawatte auf einer Schafwiese und muss sich mit den Problemen dieser Landwirte auseinandersetzen. Dabei wird Stamp immer von den Schafen umringt, die er dann ein bisschen hilflos versucht, zu streicheln. Es sind einfach sehr kuriose Situationen.

WDR: Und die Journalisten sind dabei außen vor?

Jonas Wixforth: Wir nehmen uns als Journalisten total zurück. Das ist ja etwas, was uns eigentlich nicht unbedingt liegt. Denn eigentlich wollen wir mitmischen - und vor allem auch Fragen stellen. Das machen beiden Autorinnen Beate Becker und Astrid Houben innerhalb dieses Formats überhaupt nicht. Sie lassen die Situation einfach für sich stehen.

Sie mischen sich nicht ein.  Sie gucken einfach, was passiert, wenn diese Menschen aufeinander treffen. Manchmal entsteht dabei auch eine Leere, die für alle Beteiligten schwer auszuhalten ist - auch für die Autorinnen. Aber auch das kann ja sehr aussagekräftig sein.