Wie der kommunale Klimaschutz an knappen Kassen scheitert

Stand: 04.04.2022, 16:46 Uhr

Einfach verglaste Fenster, keine Dämmung, alte Ölheizung: Energie-Effizienz können sich viele Kommunen in NRW wegen Überschuldung nicht leisten. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Von Anett SelleAnett SelleJule ZentekJule Zentek

Alexandra Gauß steht vor dem Hallenbad, Baujahr 1982. “Wir haben Einfachverglasung, wir haben dünne Wände”, sagt die Bürgermeisterin (Grüne) der Kommune Windeck. “Wir haben keine Isolierung, wir haben keine Dämmung, wir haben eine überalterte Haustechnik, die Statik des Dachs würde eine Solaranlage nicht tragen: Wir können nur die Grundsubstanz erhalten.”

Sanierungsbedürftiges Hallenbad in Windeck

Sanierungsfall Hallenbad Dattenfeld

Sanieren kann die Kommune das Hallenbad nicht: “Jetzt sind die Energiekosten ungefähr 45.000 Euro pro Jahr. Wenn wir im Futur II denken würden, wir hätten Solaranlagen, wir hätten Blockheizung, wir hätten es gedämmt, könnten wir diesen Energiebedarf auf ein Viertel reduzieren. Es scheitere nicht am Willen, sagte Gauß, es scheitere auch nicht an der Kompetenz in der Verwaltung. "Es scheitert am Geld.”

NRW-Kommunen am höchsten verschuldet

Kommunale Gebäude wie das Dattenfelder Hallenbad in Windeck gibt es viele in Nordrhein-Westfalen (NRW). Die Kommunen in NRW gehören zu den höchstverschuldeten in Deutschland. Gut 60 Milliarden Euro kommunales Schuldenvolumen (Stand: Ende 2020) haben sich angestaut, davon etwa 22,6 Milliarden Kassenkredite, sogenannte Altschulden.

Damit belegen NRW-Kommunen den ersten Platz bei Altschulden bundesweit, gefolgt von Rheinland-Pfalz mit 5,3 Milliarden Euro Kassenkrediten und dem Saarland mit 1,9 Milliarden Euro.

Windeck ist eine der ärmsten Kommunen in NRW. Das Haushaltsrecht ist streng: Investitionen in Energie-Effizienz und Klimaschutz sind oft unmöglich – selbst wenn sie sich binnen weniger Jahre rechnen würden. Dabei ginge es auch anders.

Klimakommune im Münsterland

Saerbeck im Münsterland: Solaranlagen bedecken Dächer öffentlicher und privater Gebäude. Die Schule ist saniert, hat Zeitschaltsysteme für Licht und Wärme. Bis 2030 will Saerbeck klimaneutral sein.

Schon heute produziert die Kommune etwa viermal so viel Strom aus Erneuerbaren, wie sie selbst verbraucht. Eine Heizzentrale versorgt u.a. Schulen, Kindergarten, Sporthallen, Vereine und Kirche über ein eigenes Wärmenetz.

Eine große Fläche mit Solarmodulen, dahinter ein Windrad

Bioenergiepark in Saerbeck

“Wir sind seit 2008 dabei, auf unseren Ortsschildern steht ‘Klimakommune Saerbeck’ – es gibt eine hohe Identifikation”, sagt Guido Wallraven, Leiter des Projekts Klimakommune. “Durch dieses Projekt sparen wir Energie, weil wir wesentlich effizienter sind, wir sparen erhebliche Kosten, was die Wirtschaftlichkeit verbessert und wir sparen auf der dritten Ebene natürlich auch CO2, das ist ja das eigentliche Ziel.”

Kommunale Gebäude machten zwar nur etwa ein bis zwei Prozent des Energieverbrauchs einer gesamten Gemeinde aus, sagt Wallraven. Aber sie haben Vorbildfunktion. “Wir können zeigen, wie es geht.” Allerdings dürfte Saerbeck wohl bis auf weiteres eine Ausnahme bleiben.

Keine Lösung für das Schuldenproblem

Wie genau es im Rest des Landes um die Energie-Effizienz öffentlicher Gebäude bestellt ist, konnte dem WDR-Magazin Westpol trotz verschiedener Anfragen keine Landesbehörde sagen. Es fehlt der Überblick.

Mona Neubaur, Vorsitzende der NRW-Grünen, fordert einen Altschuldenfonds, um Kommunen wieder handlungsfähig zu machen. “Es sind immer die Menschen vor Ort, die es umsetzen und anpacken, und es ist dringend erforderlich, dass Land und Bund das anerkennen und die Mittel zur Verfügung stellen." Thomas Kutschaty, SPD-Vorsitzender in NRW, wird konkret: 75% der Altschulden solle der Bund übernehmen, 25% das Land.

Die NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) zeigt sich offen, bleibt aber vage. “Ich denke, wir werden in ein paar Wochen eine Vorstellung davon vorlegen, wie wir das für Nordrhein-Westfalen vorhaben." In ein paar Wochen ist allerdings auch Landtagswahl.

Etwas müsse in jedem Fall passieren und zwar schnell, sagt Tobias Lehberg, parteiloser Bürgermeister von Saerbeck, “Dass eine Gemeinde sozusagen etwas knapp bei Kasse ist im Haushalt und selbst wenn sie wollte, gar keinen Klimaschutz betreiben kann, das kann nicht sein.”

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