Zwei Stethoskophe hängen in einer Arztpraxis.

Facharzt dringend gesucht: Zu wenig Mediziner für Praxen

Stand: 11.10.2024, 14:14 Uhr

NRW wollte 20% mehr Medizinstudienplätze schaffen. Eine WDR-Recherche zeigt: Passiert ist bislang fast nichts.

Von Anne Bielefeld, Lena Berghaus

Jean Noel ist acht Jahre alt. Er leidet unter schwerem Asthma. Der Junge muss regelmäßig von seinem Kinderarzt Volker Leipold untersucht werden und bekommt lebenswichtige Medikamente verschrieben. Nur hört der Kinderarzt in Kamp Lintfort bald auf. Einen Nachfolger gibt es nicht. "Wir haben schon überall gefragt. Alle Kinderarztpraxen sind voll und nehmen keine Patienten mehr auf", sagt Jean Noels Vater Marco Krüger.

Kein Nachfolger für Kinderarztpraxis

Volker Leipold, Kinderarzt aus Kamp-Lintfort

Kinderarzt Volker Leipold

Ende Dezember 2024 macht Volker Leipold zu. Dann gibt es in Kamp Lintfort nur noch eine Kinderärztin, für fast 7000 Kinder. "Ein kleiner Patient wie Jean Noel muss versorgt werden! In der nächsten Kinderklinik ist die Kapazität auch am Ende", sagt Volker Leipold. Drei Jahre hat der 67-jährige nach einem Nachfolger gesucht. Erfolglos. In der Großregion Nordrhein gibt es mindestens zehn Kinderärzte, die derzeit händeringend einen Nachfolger suchen. 14 Kinderarztpraxen sind derzeit unbesetzt.

Jeder dritte Facharzt in NRW geht bald in Rente

Dabei ist schon der Hausärztemangel in NRW groß. Rund 1000 Sitze sind unbesetzt. Fast jeder zweite Hausarzt ist älter als 60, aber auch bei vielen niedergelassenen Fachärzten in NRW ist die Situation zunehmend angespannt. Dazu gehören unter anderem Augenärzte, HNO-Ärzte, Orthopäden, Neurologen und Kinderärzte. Jeder dritte niedergelassene Facharzt ist mittlerweile über 60 Jahre alt. Häufig gibt es einen Aufnahmestopp. Patienten warten oftmals mehrere Monate auf einen Termin und müssen weite Wege auf sich nehmen.

Medizinstudenten als Hoffnungsträger

Inga Sellmann studiert über die Landarztquote

Inga Sellmann studiert über die Landarztquote

Sie und ihre Kommilitonen sind die Hoffnung für viele Patienten: Inga Sellmann studiert Humanmedizin an der Universität Duisburg-Essen. An ihren Studienplatz ist sie über die Landarztquote der Landesregierung reingekommen. Das ist eine von wenigen Möglichkeiten, auch ohne NC in NRW Medizin zu studieren. Pro Jahr gibt es rund 150 Plätze. Dafür hat sich Inga Sellmann verpflichtet, nach abgeschlossener Facharztausbildung zehn Jahre lang in ländlichen Bereichen als Hausärztin zu arbeiten. Tut sie das nicht, muss sie 250.000 Euro Strafe zahlen.

Medizinstudenten fordern bessere Zugangsvoraussetzungen

Inga Sellmann und Hannah Hübecker im Lehr- und Lernzentrum der Uni Duisburg-Essen

Inga Sellmann und Hannah Hübecker an der Universität Duisburg-Essen

Inga Sellmann und ihre Kommilitonin Hannah Hübecker finden, dass die Politik zu wenig gegen den Ärztemangel macht. "Unser Gesundheitsminister Herr Laumann hat ja auch zumindest gesagt, er möchte das auch angehen. Es wäre dann schön, wenn es dann auch mal passiert, damit sich da wirklich die Bedingungen ändern, damit das viel mehr Leute auch machen wollen und machen können." Dafür müssten die Zugangsvoraussetzungen grundsätzlich erleichtert werden, sagt Hannah Hübecker. "Wenn wir einfach mehr Medizinstudenten oder Medizinstudentinnen hätten und mehr werdende Ärzte, dann hätten wir logischerweise auch mehr Leute, die sich niederlassen."

Kaum neue Medizinstudienplätze in NRW

Tatsächlich hat die schwarz-grüne Landesregierung im Koalitionsvertrag versprochen, die Studienplätze für Humanmedizin bis 2027 um 20 Prozent zu erhöhen. Das wären rund 500 neue Studienplätze an den Universitäten in NRW. Potentiell auch mehr Mediziner, die in Zukunft eine Praxis eröffenen könnten. Nach WDR-Recherchen kommt der Ausbau aber nicht voran. In den letzten zwei Jahren sind keine weiteren Plätze hinzugekommen.

Geplant sind allerdings 240 neue Plätze an der Universität Bielefeld. Wie und wann die kommen, ist noch unklar. "Die Landesregierung ist in Gesprächen mit den hochschulmedizinischen Standorten in Nordrhein-Westfalen, wie der Ausbau weiter vorangetrieben werden kann", heißt es auf WDR-Anfrage aus dem NRW-Wissenschaftsministerium. Rund 740 Millionen Euro würden aktuell in den Aus- und Neubau an Medizinischen Fakultäten und Universitätskliniken investiert, heißt es weiter. Ob und wie viele neue Studienplätze dadurch entstehen, konnte das Ministerium nicht beantworten.

Erstmal keine Besserung in Sicht

Der zunehmende Ärztemangel ist seit Jahren bekannt. Die Zahl der jungen Menschen, die das Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen haben, ist zuletzt gesunken. Kinderarzt Volker Leipold in Kamp Lintfort ist enttäuscht, dass die Politik nicht früher viel mehr gegen den Ärztemangel unternommen hat. Tausende seiner Kollegen gehen schon bald in Rente. "Es wird lange dauern, bis der Laden wieder läuft", sagt er und eilt zu seinem nächsten kleinen Patienten. Rund 120 hat er alleine an diesem Tag behandelt.

Über dieses Thema berichten wir unter anderem in der Sendung Westpol am 13.10.24 um 19:30 Uhr im WDR Fernsehen.

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