Gewaltprävention: Schulen fehlt Zeit und Personal
Stand: 13.09.2024, 13:39 Uhr
In NRW sind seit 2019 schwere Gewaltdelikte an Schulen um fast 20 Prozent gestiegen. Vieles wird gar nicht angezeigt. Wer hilft?
Von Martina Koch und Isabel Surges
Beleidigungen seien die Normalität, sagt eine Schülerin des Gymnasiums Thusneldastraße in Köln. In digitalen Chatgruppen, aber auch auf dem Schulhof. Aus Frust werde auch mal der Spind eingetreten, erzählt Amanpreet aus der 12. Jahrgangsstufe. "Irgendwann entwickelt sich das natürlich zu einer Angst." Und Teomann aus der 10. Klasse bedauert: "Uns wird halt nicht wirklich beigebracht, wie wir uns verhalten sollen, wenn wir selbst in einen Konflikt verwickelt sind."
Gewalt gibt es an jeder Schule
André Szymkowiak, Schulleiter Gymnasium Thusneldastraße in Köln
Laut Polizeistatistik NRW sind schwere Gewaltdelikte an Schulen seit 2019 um 20 Prozent gestiegen. Längst ist Gewalt auch ein Thema an Gymnasien, sagt Schulleiter André Szymkowiak. Wenn man das leugne, lüge man sich in die eigene Tasche. Aber das Problem sei vielschichtig. Das Kölner Gymnasium hat deswegen mehrere Lehrkräfte zu Beratungslehrkräften fortbilden lassen. Der Bedarf an Erziehungshilfe sei exorbitant gestiegen. Und das müssten Lehrkräfte zusätzlich zum Unterricht leisten.
Gymnasien brauchen auch Sozialarbeiter
Der Schulleiter wünscht sich zusätzliches Personal. Andere Schulformen bekommen Schulsozialarbeiter, aber die meisten Gymnasien bisher nicht. "Wir brauchen Menschen, die außerhalb des Machtgefüges Schule stehen, um wirklich glaubwürdig mit den Kindern arbeiten zu können", sagt André Szymkowiak. Denn die Lehrkräfte seien für das Unterrichten ausgebildet, nicht aber für Sozialarbeit.
Gewaltprävention gehört ins Lehramtsstudium
Prof. Herbert Scheithauer, Entwicklungspsychologe an der FU Berlin
Vom Schulministerium gibt es ein Präventionshandbuch, zahlreiche Fortbildungsangebote und demnächst noch einmal Informationsveranstaltungen. Gute Ansätze, findet der Experte für Gewaltprävention Herbert Scheithauer. Er ist Professor für Entwicklungspsychologie an der FU in Berlin und wurde vom Land eingeladen, zu den Lehrkräften zu sprechen. Er schlägt eine Veränderung im Lehramtsstudium vor, "dass die grundständige Lehrkräftebildung schon dort beginnt, stärker Lehrkräfte darauf vorzubereiten für die relevanten Themen, wie komplexes sozial-emotionales Lernen, Mobbingprävention und so weiter."
Lehrkräfte fehlen für Aufsicht auf Schulhof
Achim Elvert, Schulleiter Gesamtschule Gelsenkirchen Ückendorf
An der Gesamtschule Ückendorf in Gelsenkirchen haben sie immerhin Schulsozialarbeiter. Dort fehlen allerdings 14 Lehrkräfte, sagt Schulleiter Achim Elvert. Das bedeutet, dass er rund 100 Stunden pro Woche aus der Stundentafel streichen muss. Aber auch in anderen Bereichen gibt es Kürzungen. "Wir haben tatsächlich unsere Aufsichten so weit reduziert, wie wir es noch verantworten können", räumt der Schulleiter ein. Da seine Schule in einem schwierigen Stadtteil liegt, komme es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Der Schulleiter könnte sich Unterstützung durch einen externen Sicherheitsdienst vorstellen, aber auch die an Grundschulen bewährten Alltagshelfer.
Schulministerin will keine amerikanischen Verhältnisse
Auf WDR-Anfrage spricht sich NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) gegen eine Pausenaufsicht durch Wachdienste aus: "Wir dürfen aus unseren Schulen keine Hochsicherheitstrakte mit Metalldetektoren und Wachdiensten machen. Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse." Die Pausenaufsicht sei eine pädagogische Aufgabe der Lehrkräfte und anderen pädagogischen Fachkräften. Man befände sich derzeit aber im Austausch mit Expertinnen und Experten darüber, welche Maßnahmen an Schulen zu ergreifen seien, um Lehrkräfte zu entlasten, hieß es aus dem Schulministerium.
Darüber berichten wir auch im WDR-Fernsehen, in der Sendung Westpol, am 15.9.2024, ab 19:30 Uhr.