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Gesprengte Geldautomaten: Täter werden immer dreister, Politik zögert

Stand: 11.04.2023, 18:10 Uhr

Alle paar Tage wird in NRW ein Geldautomat gesprengt. Zurück bleiben zerstörte Gebäude und schockierte Anwohner. Die Banken könnten ihre Automaten besser schützen - doch die Politik zögert, sie gesetzlich in die Pflicht zu nehmen.

Von Nina Magoley

Es ist 4.21 Uhr, als es plötzlich knallt. So laut, dass er und seine Frau "senkrecht im Bett gestanden" hätten, erzählt Michael Schäfer aus Ratingen. Die Straße ist voller Nebel, trotzdem sieht Schäfer aus dem Fenster zwei Männer losrennen. Sie springen in ein Auto "und weg waren sie", erinnert er sich. Das war Mitte März. Unbekannte sprengten in dieser Nacht in Ratingen zwei sich gegenüberliegende Geldautomaten.

Ein Fall von vielen. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland so viele Geldautomaten gesprengt, wie nie zuvor. 493 Fälle waren es, werden die gescheiterte Versuche mit eingerechnet. Im Jahr davor lag die Zahl bundesweit bei 392.

NRW ist Sprengland Nummer eins

Haupt-Sprengland: Nordrhein-Westfalen. Hier stieg die Zahl der Angriffe auf Geldautomaten im vergangenen Jahr um 19,7 Prozent. Das geht aus der polizeilichen Kriminalstatistik 2022 hervor. Der entstandene Sachschaden beläuft sich laut LKA auf fast 9,4 Millionen Euro.

Die Nähe zu den Niederlanden ist ein Risiko

Vor allem die Nähe zur niederländischen Grenze und die Tatsache, dass es in NRW mit rund 11.000 Geräten besonders viele Geldautomaten gibt, mache das Bundesland so attraktiv für die Täter, erklärt die Polizei NRW.

Ein Haus mit herausgesprengten Fenstern und Türen.

Risse in den Mauern: Geldautomat in Isselburg gesprengt

Allein in diesem Jahr gab es bereits 47 Vorfälle. Im März sprengten Unbekannte Automaten in Horn-Bad Meinberg, in Isselburg, Schwalmtal, Neuss, Gelsenkirchen, Ahaus, Übach-Palenberg und Stadtlohn. Im Februar explodierte ein Automat in Mülheim, in Reken wurden die Täter sogar von Anwohnern bei der Sprengung gefilmt.

Neuer Schwerpunkt der Polizei

Für die Polizei NRW ist das Phänomen inzwischen ein Schwerpunktthema. Die "Sonderkommission SoKo BEGAS" (Bekämpfung und Ermittlung von Geldautomaten-Sprengungen) ermittelt gemeinsam mit dem Einsatzkommando "Heat". Man tausche sich mit anderen betroffenen Bundesländern und mit der Banken- und Kreditwirtschaft aus, heißt es aus dem LKA. Mittels einer Risikoanalyse wurden besonders gefährdete Geldautomaten identifiziert, die nun von der Polizei intensiv überwacht werden.

Wer trägt die Verantwortung?

Im November 2022 gab es einen "Runden Tisch", bei dem sich Banken, Polizei, Bundeskriminalamt, Versicherer und die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf Präventionsmaßnahmen einigten. Doch darüber hinaus schieben sich Polizei, Politik und Banken die Verantwortung gegenseitig zu.

So fordert etwa das LKA NRW neben einer Videoüberwachung auch den Einbau von Nebelanlagen und eine bessere Sicherung der Zugangsmöglichkeiten zu den Automaten von den Banken. Außerdem sollten besonders gefährdete Automaten nachts ganz geschlossen und die Bargeldmenge reduziert werden.

Unterstützung kommt von der Bundesinnenministerin. "Jetzt ist die Kreditwirtschaft in der Verantwortung, diese Maßnahmen schnell und konsequent umzusetzen", machte Faeser am Dienstag Druck.

Gesetzliche Auflagen

BKA und Polizei geht das alles nicht weit genug. Sie fordern zeitnah gesetzliche Auflagen für Banken, wie sie ihre Automaten zu sichern haben.

Doch der Dachverband der deutschen Kreditwirtschaft, in dem Sparkassen und Banken zusammengeschlossen sind, stellt sich dem entgegen: "Es ist schwer nachzuvollziehen, dass die alleinige Verantwortung für die Verhinderung von Sprengungen bei Banken und Sparkassen liegen soll", erklärte der Verband in einer aktuellen Stellungnahme. Der Schutz der Bargeldversorgungsinfrastruktur könne nur gemeinsam mit Politik und Strafverfolgungsbehörden gelingen. Welchen Anteil die Banken dabei tragen wollen, lässt der Verband in der Erklärung allerdings offen.

Wer sind die Täter?

Nach Erkenntnissen der Ermittler stammen die Täter überwiegend aus marokkanisch-niederländischen Gruppen in Utrecht, Rotterdam und Amsterdam. Sie seien "sehr polizeierfahren", bei der Flucht mit "hochmotorisierten gestohlenen Fahrzeugen aus dem Hochpreissegment" zeigten sie "ein extrem rücksichtsloses Fluchtverhalten". Die niederländische Polizei schätzt den Kreis auf rund 500 bis 700 Personen. Die Szene sei schwer überschaubar und verändere sich stetig. Laut LKA wurden seit 2015 insgesamt 202 Tatverdächtige in NRW und in den Niederlanden festgenommen, 17 davon in diesem Jahr.

Man stehe mit den niederländischen Kollegen in intensivem Austausch, berichtet Christa Lübbers, Leiterin der fünfköpfigen Soko BEGAS. Doch die Zusammenarbeit lief bislang holprig. "Die Niederländer scheitern an unserem föderalistischen System", sagt Lübbers im WDR-Interview: 16 Bundesländer plus Bundeskriminalamt, allein in NRW hätten die Kollegen es mit 47 Behörden zu tun. Immerhin: Künftig sollen nur noch sechs Kreispolizeibehörden in NRW für Geldautomaten zuständig sein.

"Deutschland ist Bargeldland"

Dabei haben die Niederlande selber kaum noch ein Problem mit solchen Sprengungen. Banken arbeiten dort mit Tricks wie verklebtem oder sich bei einer Explosion einfärbendem Geld. Auch die Anzahl der Geldautomaten sei dort rigoros reduziert worden, sagt Lübbers. In Deutschland aber sei das nicht gewünscht: "Wir sind ein Bargeldland, mehr als 60 Prozent der Transaktionen finden hier in bar statt."

Von einer gesetzlichen Verpflichtung für Banken, ihre Automaten besser zu sichern, ist Lübbers nicht überzeugt. "Dann werden die Täter andere Maßnahmen finden, um an ihr Geld zu kommen."

Landesregierung sieht Gesetzesauflagen kritisch

Reul

Gesetz als "letzte Möglichkeit": NRW-Innenminister Herbert Reul

Auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hält gesetzliche Maßnahmen nur für die "letzte Möglichkeit". Die Sicherung der Geldautomaten sei ein "Gemeinschaftsprojekt": Die Verantwortung der Banken sei es, die Geldautomaten "möglichst sicher zu machen". In der Verantwortung der Polizei liege die Verfolgung und Aufklärung der Fälle. Man sei "in superguten Gesprächen mit den Banken" und die bisherigen Maßnahmen seien "zunehmend erfolgreicher": Im ersten Viertel dieses Jahre habe es ein Drittel weniger Überfälle gegeben als im Vorjahreszeitraum.

"Banken können machen, was sie wollen"

Bund und Länder müssten endlich rechtliche Regelungen finden, fordert dagegen auch der Bund deutscher Kriminalbeamter. "Wir können nicht jeden Automaten bewachen", sagt der NRW-Landesvorsitzende Oliver Huth und verweist auf andere EU-Länder, die sich bereits erfolgreich gegen Geldautomaten-Sprenger schützen. In vielen Ländern müssten sich Banken den Standort für einen Automaten genehmigen lassen, "hier können Banken machen, was sie wollen". Deswegen fänden Täter hier eine "gute Tatgelegenheitstruktur" und würden, so fürchtet Huth, wohl "weiter sprengen, bis sie merken, das sie nicht mehr ans Geld kommen". Dass dabei auch Unbeteiligte zu Schaden kommen, sei nur eine Frage der Zeit.