Mehrwertsteuererhöhung: NRW-Gastronomie befürchtet tausende Schließungen
Stand: 15.08.2023, 15:18 Uhr
Um Gastwirten durch die diversen Krisen zu helfen, war die Umsatzsteuer auf Speisen auf sieben Prozent gesenkt worden. Ende des Jahres soll sie wieder auf 19 Prozent steigen. Das verunsichert die Branche in NRW.
Von Nina Magoley
Für viele Restaurant- oder Cafébetreiber war es eine Erleichterung in harten Zeiten: Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen von 19 auf sieben Prozent. Ursprünglich sollte diese Aktion bis Ende 2022 befristet sein. Doch nach der Pandemie kam der Krieg in der Ukraine - und damit die Energiekrise. Durch die folgende Inflation explodierten auch Lebensmittelpreise. Im Oktober 2022 war die Regelung daher bis Ende 2023 verlängert worden.
Ab Januar 2024 soll nun wieder die 19-prozentige Mehrwertsteuer gelten. Für Restaurantbesitzer bedeutet das höhere Preise beim Einkauf ihrer Lebensmittel. Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga in NRW warnt: Allein in NRW müsse man dadurch mit 2.000 bis 2.500 Betriebsschließungen im nächsten Jahr rechnen. Bei den Gastronomen seien "die Taschen schon jetzt überwiegend leer", sagte NRW-Präsident Patrick Rothkopf am Dienstag in Düsseldorf.
Rund 6.000 Betriebe hätten die Pandemie gar nicht überlebt, angesichts der Mehrwertsteuererhöhung fürchte jetzt etwa die Hälfte der rund 32.000 Restaurant- und Cafébesitzer in NRW um ihre Existenz.
Gastronom: "Das Kundenverhalten hat sich geändert"
Gastronomen müssen mittlerweile eng kalkulieren: Energie ist teurer geworden, der Mindestlohn angehoben, dazu kommen die teils explodierenden Kosten für Lebensmittel. Diese Umstände zwingen viele dazu, die Preise auf ihren Speisekarten deutlich anzuheben. Das hat Auswirkungen: "Das Kundenverhalten hat sich geändert", stellt Joel, Inhaber eines meist gut besuchten Restaurants im Kölner Szeneviertel Ehrenfeld, fest.
Volle Cafés in Köln: Demnächste Vergangenheit?
Sein Laden werde kaum noch richtig voll, "Kunden bestellen nicht mehr so sorglos wie früher". Auch das Mittagsmenü für Büromitarbeitende aus der Umgebung laufe nicht mehr so, wie vor all den Krisen: "Wer früher jeden Tag hierher kam, nimmt sich heute an vier Tagen ein Butterbrot mit ins Büro - und geht nur noch einmal pro Woche auswärts Mittagessen. Oder bleibt im Homeoffice."
Seine Mittags-Pasta für 7,50 Euro müsste der Restaurantbesitzer nach der Mehrwertsteuererhöhung für fast einen Euro mehr anbieten. Im Gespräch mit den Kunden höre er es immer wieder heraus: "Die meisten normalen Menschen haben jetzt auch höhere Fixkosten, verdienen aber nicht mehr und haben dadurch weniger Geld in der Tasche." Mit der erhöhten CO2-Umlage auf Erdgas, Heizöl und Benzin, die ebenfalls ab Januar gelten soll, komme eine weitere Belastung für alle Seiten hinzu.
NRW: Koalitionsversprechen in Berlin gescheitert
In ihrem Koalitionsvertrag hatte die schwarz-grüne Landesregierung angekündigt, einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einzubringen, wonach der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent auf Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen dauerhaft fortgelten soll. Doch daraus wurde offenbar nichts.
Auf WDR-Anfrage erklärt das grün geführte NRW-Wirtschaftsministerium, man habe im Oktober 2022 "eine Initiative zur dauerhaften Senkung der Mehrwertsteuer für Restaurant- und Verpflegungsleistungen auf sieben Prozent ergriffen". Leider habe dieser Antrag keine Mehrheit im Kreis der Länder gefunden. NRW werde "die Entwicklungen im Bund weiter beobachten und sich für einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für das Gastgewerbe einsetzen".
Noch immer sei die wirtschaftliche Situation "angespannt und von verschiedenen Krisen geprägt". Im Mai lag demnach der Umsatz der Branche preisbereinigt um 14 Prozent niedriger als noch 2019. Insofern sei eine ermäßigte Mehrwertsteuer auch weiterhin "von großer Bedeutung", so das Ministerium.
Diverse Meinungen in Berlin
Während die schwarz-grüne Landesregierung also "beobachten" will, herrscht in Berlin mehr oder weniger Uneinigkeit zu dem Thema: Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge verteidigt die Rückkehr zum Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent für Speisen in der Gastronomie: "Wir belasten die Branche nicht zusätzlich, sondern heben die Erleichterung wie angekündigt auf", sagte sie der "Stuttgarter Zeitung"vergangene Woche. Es sei immer klar gewesen, dass es sich um eine zeitlich befristete Maßnahme handele. Dröge verwies dann auf die engen Sparvorgaben für den Haushalt: "Wenn wir das Geld an dieser Stelle ausgeben würden, müssten wir es woanders einsparen."
Finanzminister will Steuerschätzung abwarten
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wiederum will für eine mögliche Beibehaltung der reduzierten Mehrwertsteuer in der Gastronomie die Steuerschätzung im November abwarten. Dann werde die Bewertung in den parlamentarischen Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 erfolgen, hatte ein Ministeriumssprecher vergangene Woche der "Rheinischen Post" gesagt.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ist für eine Beibehaltung. Diese Maßnahme sei aus guten Gründen eingeführt worden - nämlich weil die Branche in einer schwierigen Lage gewesen sei, sagte Esken am Sonntag im ARD-Sommerinterview. "Das ist sie auch heute noch." Man müsse schauen, ob im Rahmen des Haushalts eine Fortführung möglich wäre.
Der Kölner Restaurantbesitzer sagt, er habe kaum Hoffnung auf eine politische Lösung. "Die müssen wir alle selber für uns finden." Wie - das wisse allerdings noch keiner.
Gastronomen befürchten Einbußen nach Ende der Mehrwertsteuersenkung
Lokalzeit aus Dortmund. 09.08.2023. 21:00 Min.. Verfügbar bis 09.08.2025. WDR. Von Martin Wilger.