02.09.2022, Nordrhein-Westfalen, Münster: Ein Mann entzündet eine Kerze in Gedenken an Malte C..

Ein Jahr nach dem Tod von Malte C.: Was hat sich verändert?

Stand: 26.08.2023, 06:00 Uhr

Queere Menschen sollen in NRW angstfrei und selbstbestimmt leben können. Das hat Innenminister Reul kurz nach dem Vorfall beim CSD in Münster versprochen. Ist die Lage wirklich besser?

Von Anett Selle und Nadja Bascheck

Malte C. ist 2022 während des Christopher Street Day in Münster eingeschritten, als zwei lesbische Frauen von einem Mann beleidigt wurden. Wenige Tage später war er tot, er starb an den Folgen eines Schädelhirntraumas. Nuradi A. hat im späteren Gerichtsprozess gestanden, den trans Mann niedergestreckt zu haben und wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig erklärt. Doch für eine queerfeindliche Einstellung habe es laut Prozessbeteiligten keine Hinweise gegeben. Er selbst sei homosexuell.

Debatte um Queerfeindlichkeit

Trotzdem gab es unmittelbar nach der Tat Diskussionen um Queerfeindlichkeit, auch im Innenausschuss des Landtags. Innenminister Herbert Reul sagte im September 2022, die Landesregierung wolle, dass queere Menschen in NRW angstfrei und selbstbestimmt leben können.

Dafür wollte er zum Beispiel eine Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag umsetzen:

"Wir werden prüfen, wie wir die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) um eine differenzierte Erfassung von Gewalttaten gegen LSBTIQ*, Tätergruppen und Motive erweitern können. Diese werden regelmäßig veröffentlicht." Koalitionsvertrag der NRW-Landesregierung

Doch auch ein Jahr nach dem Vorfall in Münster ist das nicht umgesetzt. Zwar wurde immerhin der Kriminalpolizeiliche Meldedienst politisch motivierte Kriminalität bereits angepasst, aber Reul hatte damals im Innenausschuss gesagt, ihm gehe das nicht weit genug.

Großes Dunkelfeld bei queerfeindlichen Gewalttaten

Experten bestätigen dem WDR: Das Dunkelfeld in dem Bereich ist weiterhin groß. Viele Menschen aus der Community vermeiden es, Anzeige zu erstatten. Der Kölner Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn ist seit etwa einem Jahr Ansprechpartner für queere Menschen, die Gewalttaten erlebt haben.

Den Grund für die Zurückhaltung bei Anzeigen sieht er in der bundesdeutschen Geschichte: Noch bis 1994 waren hierzulande auch einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Männern strafbar.

"Wir haben nicht beschützt, sondern verfolgt." Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn

Knapp 30 Jahre später stecke das noch immer im kollektiven Bewusstsein. Auch in Köln, wo Willuhn die Abteilung für politische Strafsachen leitet.

Gemeinhin gilt Köln als queerfreundliche Stadt. Ulrike Goldbach hat jedoch andere Erfahrungen gemacht. Etwa zehn Jahre ist es her, dass sie und ihre Partnerin nachts auf dem Heimweg angegriffen wurden. Sie erinnert sich daran, wie zwei Männer an einer Haltestelle standen und ihr und ihrer Partnerin immer wieder etwas zuriefen. Erst harmlose Bemerkungen, doch als das lesbische Paar nicht reagierte und an den Männern vorbei wollte, fielen Beleidigungen.

Ulrike Goldbach mochte diese Beleidigungen nicht mehr hinnehmen, schimpfte zurück. Dann eskalierte die Situation: Am Ende steht sie mit einer gebrochenen Nase und Beulen am Hinterkopf auf der Straße, berichtet sie.

LGBTIQ*-Beauftragte bei der Polizei

Sie habe die Tat zur Anzeige gebracht und später Schmerzensgeld erhalten, doch viele andere Betroffene scheuten davor zurück, zur Polizei zu gehen. Dass es seit kurzem in Köln einen Oberstaatsanwalt für solche Belange gibt und auch einen LGBTIQ*-Beauftragten bei der Polizei, findet Ulrike Goldbach gut.

"Das hätte einen Riesenunterschied gemacht." Ulrike Goldbach aus Köln

Auch in Münster, Mettmann und Gelsenkirchen hat die Polizei inzwischen solche Ansprechpartner, teilt das NRW-Innenministerium mit. Innenminister Reul begrüßt das im WDR Interview und bezweifelt zugleich, dass es bei Polizei und Justiz für jeden Bereich einen eigenen Ansprechpartner brauche. Wichtiger sei ihm, dass alle Polizistinnen und Polizisten für das Thema sensibilisiert seien.

Ein Jahr nach dem Tod von Malte C.

WDR 5 Westblick - aktuell 25.08.2023 03:37 Min. Verfügbar bis 24.08.2024 WDR 5


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