Ist Ende Juni Schluss mit kostenlosen Coronatests?

Stand: 15.06.2022, 16:30 Uhr

Ab Juli soll es keine kostenlosen Bürgertests mehr geben. Stand jetzt. Doch angesichts der anrollenden "Sommerwelle" hat auch Gesundheitsminister Laumann inzwischen Bedenken.

Von Nina Magoley

Die Erkenntnis ist unangenehm, doch die Fakten sind eindeutig: Die Corona-Infektionszahlen steigen wieder - trotz Sommer, trotz Impfungen. Nach Ansicht der einschlägigen Experten liegt das wohl vor allem an den neuen, besonders ansteckenden Virus-Varianten wie BA.4 und BA.5. In seinem letzten Wochenbericht vom 9.6.2022 hatte das RKI prognostiziert, dass diese Varianten in wenigen Wochen dominieren werden - und daher mit einem Anstieg der Infektionszahlen bereits im Sommer zu rechnen sei. Bislang war vor allem eine gute Vorbereitung auf den nächsten Herbst und den Winter angemahnt worden.

Dabei sind viele Menschen gerade froh, wieder zu einer Art Normalität zurückzukehren. Masken werden kaum noch getragen, wo sie nicht mehr Vorschrift sind, in Restaurants, auf Konzerten oder auf Partymeilen drängen sich fröhliche und offensichtlich unbesorgte Menschenmengen. Die vielen Lockerungen der Pandemiemaßnahmen scheinen das zu rechtfertigen. Am 29. Juni laufen zudem die Verordnungen des Bundesgesundheitsministerium ganz aus.

Eine gewisse Sicherheit geben bislang noch die kostenlosen Bürgertests: So kann sich mancher noch rechtzeitig selber davon abhalten, unwissend infiziert unter Leute zu gehen und andere anzustecken. Wo das in NRW noch möglich ist, zeigt diese Karte:

Doch ab Juli soll auch damit Schluss sein. Dabei sind nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov derzeit fast zwei Drittel der Bundesbürger für eine weitere Verlängerung des Angebots von Gratis-Schnelltests.

Gesundheitsminister Laumann fordert "Klarheit"

Offenbar sieht aber auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) die vollständige Abschaffung der kostenlosen Tests angesichts steigender Infektionszahlen kritisch. Auf WDR-Anfrage sagte Laumann, er erwarte, "dass der Bund auch in Zukunft ein bürgernahes Testsystem ermöglicht, insbesondere für Menschen mit Symptomen". Das aktuelle Testregime laufe zum Ende des Monats aus, "ohne dass die Bürgerinnen und Bürger, aber auch nicht die Länder Klarheit haben".

Aus dem Bundesgesundheitsministerium heißt es, ein Entwurf zur Verlängerung und Überarbeitung der Verordnung sei in Arbeit. Der Corona-ExpertInnenrat der Bundesregierung hatte zuvor empfohlen, die "bisher sehr intensive, aber breite und wenig gezielte Testung zu reduzieren".

Das fordert auch der Verband der akkreditierten Labore in der Medizin (ALM): "Anlasslose Bürgertests in Testzentren werden zum weiteren Pandemiemanagement nicht mehr benötigt", sagte Vorstandsmitglied Nina Beikert. Aus Sicht des Verbands würde es ausreichen, Antigen-Schnelltests nur noch an Orten wie Pflegeheimen oder Krankenhäusern beaufsichtigt anzubieten. Über Gutscheine könnten Menschen außerdem bei Bedarf "kostengünstig" Tests in Apotheken bekommen - "quasi als Ersatz für die Bürgertests".

Nach Auffassung des Ärztlichen Pandemierats der Bundesärztekammer haben "Bürgertests und anlasslose Massentestungen im Testkonzept keinen Platz mehr".

Protest aus dem Pflegebereich

Heftiger Widerspruch dagegen kommt vor allem aus dem Patienten- und Pflegebereich: Der Sozialverband VdK appelliert an die Bundesregierung, die kostenlosen Bürgertests bis in den Winter zu verlängern. Das fordert auch die Stiftung Patientenschutz, "damit die steigenden Infektionszahlen sich nicht zu einem Tsunami für Pflegebedürftige und Schwerstkranke entwickeln", so Vorstand Eugen Brysch. Mit einem Ende der kostenlosen Tests würde die Vorfeldbeobachtung in der Pandemie abgeschaltet. Brysch nannte Bürgertests die "Einflugschneise für eine faktenbasierte Pandemiebekämpfung".

Ähnlich äußerte sich der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß: Die Inzidenzen gäben ein Bild über das Infektionsgeschehen ab, sagte er der "Ärzte Zeitung". So könne man früh erkennen, "wenn sich das Infektionsgeschehen massiv ändert".

Der Pflegeschutzbund BIVA sieht Deutschland schlecht vorbereitet auf das Ende der kostenfreien Bürgertests am 30. Juni. So seien die Besuchsregelungen für Pflegeheime ungeklärt. In vielen Bundesländern werde immerhin festgeschrieben, dass die Einrichtungen Tests anbieten müssten. In sechs weiteren aber gebe es dazu überhaupt keine Regelung, heißt es.

Pflegeheime: NRW hat noch kein Konzept

NRW gehört bislang dazu: Hier läuft die Testpflicht für Pflegeheime laut "Corona-Allgemeinverfügung Einrichtungen" am 30. Juni ab. Allerdings sei angesichts der Infektionslage "schwer vorstellbar", dass es danach keine Testpflicht in Heimen mehr geben wird, sagt ein Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums. Das Land warte diesbezüglich aber auf eine Entscheidung im Bund: "Wenn der Bund die Testpflicht hier ganz abschafft, müssen wir schauen, wie wir hier damit umgehen." Denn organisieren und bezahlen müssen die Tests dann theoretisch die Pflegeheime selber. Oder Besucher wären gezwungen, auf eigene Kosten negative Testergebnisse vorzulegen.

Was ist mit Großveranstaltungen?

Interessant ist die Frage auch mit Blick auf Großveranstaltungen - die längst wieder möglich sind. Ob sie eine "Sommerwelle" beflügeln, ist bislang unklar. Nach dem Großfestival Rock am Ring mit zehntausenden Zuschauern beispielsweise sollen ein Viertel der Besucher anschließend coronapositiv gewesen sein. Das habe eine Befragung ergeben, berichtete die Rheinische Post. Die Befragung war allerdings nicht repräsentativ.

Wie mit solchen Großveranstaltung künftig umzugehen ist, sei "derzeit nicht verlässlich einzuschätzen", heißt es auf Nachfrage aus dem NRW-Gesundheitsministerium. "Jede Bürgerin und jeder Bürger sollte sich jedoch bewusst sein, dass vor allem eine Großveranstaltung in geschlossenen Räumen ein Risiko für SARS-CoV-2 Übertragungen beinhaltet."