Was bringt die Bürgerbeteiligung an einem Windpark?
Stand: 16.08.2024, 11:50 Uhr
Seit Anfang des Jahres müssen die Anwohner neuer Windparks an den Profiten beteiligt werden. Noch fehlen Erfahrungen mit dem neuen Gesetz. Allerdings gibt es an mehreren Orten seit vielen Jahren freiwillige Bürgerbeteiligungen. Was bringt das für Bürger und Kommune? Eine Pilgertour.
Von Thomas Drescher
Auf der A44 hinter dem Kreuz Wünnenberg-Haaren befindet man sich plötzlich in Mekka. Eigentlich heißt Mekka Lichtenau. Das Städtchen in Ostwestfalen zählt knapp 12.000 Einwohner - und 187 Windräder. Auf dem Ortsschild steht unterhalb von Lichtenau der Zusatz "Energiestadt". Wer der Frage nachgeht, wie eine Stadt und ihre Bürger von Windenenergie profitieren können, muss nach Lichtenau pilgern.
Dass es dort, am Westhang des Eggegebirges, viel Wind zu ernten gibt, weiß man schon seit den Achtzigerjahren, als die ersten Messungen angestellt wurden, erzählt Bürgermeisterin Ute Dülfer. In den Neunzigerjahren drehten sich in Lichtenau schon 61 Windräder, das war damals die größte Ansammlung von Windkraftanlagen an Land in ganz Europa.
Ute Dülfer, parteilose Bürgermeisterin von Lichtenau
Dass hier heute zehnmal so viel Strom erzeugt werden kann, wie die Lichtenauer verbrauchen, liegt vor allem an der großen Akzeptanz. Und die wiederum gründet in einer breiten Beteiligung der Bürger. Was seit dem 1. Januar 2024 in NRW mit dem Bürgerenergiegesetz für alle neuen Windparks verpflichtend ist, wird in Lichtenau seit vielen Jahren freiwillig gelebt.
Beteiligung durch Anteile oder Darlehen
Sechs Windparks sind über die fast 200 Quadratkilometer und 15 Stadtteile von Lichtenau verteilt. Bei zwei dieser Windparks konnten Anwohner Anteile an den Anlagen erwerben. Genau diese Art der Beteiligung sieht nun auch das NRW-Gesetz vor - neben einer ganzen Reihe anderer Möglichkeiten, wie eine Kommune und ihre Bewohner von Windenergie profitieren können.
Mit Summen zwischen 500 und 25.000 Euro konnten sich Lichtenauer bei den beiden Windparks einkaufen. Sie bekommen dafür jedes Jahr Anteile am Gewinn, den die Windräder erzielen. Bei anderen Windparks in Lichtenau wurden Genossenschaften gegründet, über die man Anteile erwerben und mitverdienen kann.
Eine weitere und auch andernorts sehr verbreitete Form der Beteiligung sind sogenannte Nachrangdarlehen. Dabei nehmen die Betreiber eines künftigen Windparks bei den Anwohnern Darlehen auf, deren Höhe ebenfalls zwischen 500 und 25.000 Euro liegt. Die Verzinsung liegt im Moment mit fünf bis sechs Prozent etwa zwei Prozentpunkte über dem marktüblichen Zins. Innerhalb von 20 Jahren, das ist die übliche Lebensdauer eines Windparks, kann man mit diesem Zins sein Investment mehr als verdoppeln.
Windpark in Kerken-Eyll am Niederrhein
Damit solche attraktiven Angebote nicht von Groß-Investoren aus anderen Kommunen abgegriffen werden, achten viele Unternehmen darauf, dass sie tatsächlich nur Geld von Bewohnern der jeweiligen Gemeinde annehmen. So hält es etwa die Firma SL Naturenergie aus Gladbeck, die vor allem im Westen von NRW Windparks baut. "Wir wollen, dass die Wertschöpfung zum größten Teil innerhalb der Kommune bleibt, in der der Windparkt steht" sagt Stefanie Flam von SL Naturenergie.
Geld für Bürgerstiftungen
Deshalb gehört bei SL Naturenergie zu jeder Bürgerbeteiligung auch eine Bürgerstiftung. In die zahlt der Betreiber jedes Jahr einen festgelegten Prozentsatz des Gewinns. Aus der Stiftung werden dann laufend soziale oder kulturelle Projekte in der Kommune bezuschusst - eine weitere Möglichkeit, wie die Menschen in der Nähe von den Windrädern profitieren können.
Mal wird mit Geld der Stiftung ein Feuerwehrgerätehaus renoviert oder die Küche in der Schützenhalle erneuert, wie in Lichtenau geschehen. Mal wird die Jugendarbeit der Kirchengemeinde unterstützt, oder die Musik- und Sportvereine, wie es die Bürgerstiftung im niederrheinischen Kerken vormacht. Über die Jahre sehen die Bewohner der Wind-Kommunen sehr deutliche Veränderungen im Ortsbild, weil plötzlich Projekte möglich werden, die sich die notorisch klammen Städte und Gemeinden sonst nicht leisten könnten.
In Kerken schüttete die Bürgerstiftung jüngst über 80.000 Euro für das laufende Jahr aus. Lichtenaus Bürgerstiftung nahm seit 2016 gar 1,2 Millionen ein und gab sie weiter.
Verbilligter Strom
Ein anderes beliebtes Mittel zur Bürgerbeteiligung ist verbilligter Strom. "Das ist ein sehr schönes Modell", sagt Steffen Lackmann von der Firma Westfalenwind aus Paderborn, "weil dabei der Zusammenhang zwischen grün erzeugten Strom und dem persönlichen Vorteil besonders deutlich wird". Westfalenwind hat in Lichtenau jedes fünfte Windrad gebaut.
Damit der Preisvorteil möglichst deutlich wird, sollten aber nicht allzu viele Haushalte in den Genuss kommen, findet Lackmann - sondern möglichst nur die direkten Anlieger. Denn es gibt immer nur eine festgelegte Summe für die Stromsubvention. Wenn man die auf alle Haushalte einer Stadt aufteilt, fällt der Preisvorteil ziemlich gering aus.
Das NRW-Gesetz sieht solche Vorteile für alle Anwohner im Umkreis von 2.500 Metern um einen Windpark vor.
Geld für den kommunalen Haushalt
Indirekt profitieren Bürgerinnen und Bürger auch, wenn Gewinne aus den Windparks in den städtischen Haushalt fließen. So legt die Firma SL Naturenergie Wert darauf, dass 95 Prozent der anfallenden Gewerbesteuer in der Kommune bleiben, wo die Windparks stehen, sagt Firmensprecherin Stefanie Flam.
Bisher konnten die Kommunen zusätzlich 0,2 Cent pro erzeugter Kilowattstunde bei den Netzbetreibern beantragen. Bei 70 Millionen Kilowattstunden, die ein Windpark wie in Kerken-Eyll jedes Jahr erzeugt, freut sich der Stadtkämmerer über zusätzlich 140.000 Euro.
Künftig sind diese 0,2 Cent eine Art Rückfalloption: Für den Fall, dass sich die Betreiber neuer Windparks nicht mit den Kommunen auf die Art der Bürgerbeteiligung einigen können. Deren genaue Ausgestaltung ist nämlich Verhandlungssache. Bisher sind gescheiterte Verhandlungen nach dem neuen Bürgerenergiegesetz nicht bekannt. Aber mit dem Gesetz steht NRW ja noch ganz am Anfang.