Wohin will die Wagenknecht-Partei?
Stand: 07.02.2024, 06:00 Uhr
Seit gutem Monat gibt es das Bündnis Sahra Wagenknecht als Partei. Um im Juni bei den Europawahlen antreten zu können, muss es beim Parteiaufbau nun schnell gehen - auch in NRW.
Von Daniela Junghans
Amid Rabieh soll den NRW-Landesverband aufbauen
Amid Rabieh hat momentan viel zu tun. Der 41-jährige Jurist soll den nordrhein-westfälischen Landesverband des frisch gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aufbauen. Im Alltag bedeutet das vor allem: viel reden. Bei Rabieh landen Anfragen von Menschen, die gern mitmachen wollen bei der neuen Partei. Manche waren oder sind noch in anderen Parteien, einige haben Funktionen oder Mandate. Sie sitzen zum Beispiel für die Linke in Stadträten und würden gern wechseln, erzählt Rabieh.
Vieles sei noch nicht spruchreif, aber in Duisburg und Recklinghausen sei seine Partei zum Beispiel schon im Kommunalparlament vertreten, weil dort einzelne Linken-Stadträte zum BSW gewechselt seien.
Nicht zu schnell wachsen
Doch nicht alle Interessenten dürfen gleich Mitglied der neuen Partei werden. Sie soll langsam wachsen, jeder Mitgliedsantrag wird genau geprüft. Wer mitmachen will, soll am besten erstmal Unterstützer werden – das heißt, er oder sie darf zwar mitarbeiten, hat aber zum Beispiel kein Stimmrecht auf Parteitagen. So will die neue Partei aus Fehlern anderer junge Parteien lernen, zum Beispiel der Piraten. Eine kluge Strategie, findet der Düsseldorf Politikwissenschaftler Thomas Poguntke. Denn Wagenknecht und ihre Partei versuchten durch die restriktive Mitgliedergewinnung zu vermeiden, "dass irgendwelche politischen Abenteurer sich ihr anschließen.“
Thomas Geisel, Spitzenkandidat des BSW zur Europawahl
Gleichzeitig könne das aber auch ein Schwachpunkt sein, denn damit eine Partei Erfolg habe, brauche sie eine starke Basisorganisation. Das heißt: Menschen, die Wahlplakate kleben und Veranstaltungen organisieren. Spätestens im vierten Quartal soll deshalb der NRW-Landesverband stehen und auch der erste Landesparteitag stattfinden.
Gute Chancen bei Europawahl
Bundesweit hat das Bündnis Sahra Wagenknecht derzeit rund 400 Mitglieder. Von insgesamt 1.000 Mitstreitern spricht Amid Rabieh, wenn er die Unterstützer ohne Parteibuch mitzählt. Viele kommen aus der Partei Die Linke, einige aber auch aus anderen Parteien, wie zum Beispiel der ehemalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel. Der hatte nach 40 Jahren Mitgliedschaft die SPD verlassen, auch mit dem Verweis, "Sozialdemokraten in der Tradition von Willy Brandt oder Helmut Schmidt“ seien "in der heutigen SPD heimatlos geworden“. Stattdessen ist Geisel jetzt Spitzenkandidat des BSW für die Europawahl im Juni, gemeinsam mit dem ehemaligen Hamburger Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi.
Politikwissenschaftler Thomas Poguntke sieht eine Lücke im Parteiensystem
Dass Geisel demnächst im Europaparlament sitzen wird, ist ziemlich wahrscheinlich, denn bei der EU-Wahl gibt es - anders als bei der Bundestagswahl - keine 5-Prozent-Hürde. Wie stark die neue Partei vertreten sein wird, ist derzeit aber kaum vorherzusagen. In aktuellen Umfragen liegt das Bündnis Sahra Wagenknecht zwischen 3 und 8 Prozent. Doch die Chancen für einen dauerhaften Platz im deutschen Parteiensystem sind gar nicht so schlecht. Denn die neue Partei könnte eine Lücke füllen, meint Politikwissenschaftler Poguntke. Das BSW sei "wirtschafts- und sozialpolitisch relativ weit links einzuordnen und in kulturellen Fragen eher rechts beziehungsweise konservativ“. Die Partei orientiere sich "ein Stückweit an dem, was die dänischen Sozialdemokraten machen, die ein stark wohlfahrtsstaatliche Politik mit einer sehr restriktiven Migrationspolitik kombinieren“, meint der Düsseldorfer Parteienforscher.
Stellt man Amid Rabieh die Frage nach dem Platz des neuen Bündnisses in der deutschen Parteienlandschaft, antwortet er: "in der Mitte“. Das BSW wolle in der Breite "Menschen aus der Mitte der Gesellschaft erreichen“. Das sei ein großer Unterschied zu der Partei, der er bis vor kurzem noch angehörte. Das BSW, das ist ihm wichtig, sei "keine Linke 2.0.“