Koran-Aktion in Schweden: Wie weit geht Meinungsfreiheit?
Stand: 21.07.2023, 09:51 Uhr
Die Anti-Koran-Demo vor der irakischen Botschaft in Schweden ist ein Affront für Millionen Muslime weltweit. Die schwedische Justiz beruft sich jedoch auf Meinungsfreiheit. Aber wie weit geht diese?
Von Jörn Kießler
Nachdem in Schweden nach Koran-Verbrennungen in der Öffentlichkeit ein Mann auf einem Koran rumgetrampelt ist, gibt es nicht nur Spannungen zwischen der schwedischen und irakischen Regierung. Auch die Türkei und der Iran verurteilt die Aktion scharf. Unter anderem, weil es nicht die erste dieser Art in diesem Jahr ist.
Drei Koran-Aktionen in Schweden seit Januar
Bereits im Januar hatte ein schwedischer Rechtsextremer eine Koran-Ausgabe angezündet. Im Juni verbrannte ein Iraker vor der Großen Moschee Stockholms einige Seiten aus dem Koran. Bei der jüngsten Aktion dieser Art am Mittwoch war derselbe irakische Flüchtling vor der Botschaft seines Landes im Schweden auf der Heiligen Schrift der Muslime herumgetrampelt und hatte danach versucht, sie anzuzünden. Daraufhin kam es in Bagdad zu Demonstrationen, bei denen die Teilnehmer die schwedische Botschaft stürmten und dort sogar Feuer legten.
Grund für die Aggressionen ist vor allem, dass alle drei Aktionen von der schwedischen Justiz genehmigt worden waren. Das Recht auf öffentliche Demonstrationen ist in Schweden stark ausgeprägt und durch die Verfassung geschützt. Kritik an Religionen ist in Schweden von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die Blasphemiegesetze wurden in den 1970er Jahren abgeschafft.
Schwedische Behörden ermitteln wegen Volksverhetzung
Dennoch ermitteln die schwedischen Behörden sowohl wegen der Koranverbrennung Ende Juni als auch der Aktion am vergangenen Mittwoch wegen möglicher Volksverhetzung gegen den Mann aus dem Irak. Man habe eine entsprechende Anzeige erstellt, eine Voruntersuchung unter Führung einer Staatsanwältin sei aufgenommen worden, teilte die Stockholmer Polizei am Freitag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.
Inwieweit das Anzünden des Korans als Volksverhetzung betrachtet werden kann, ist in dem skandinavischen EU-Land bislang aber noch nie von einem Gericht geprüft worden. Für Muslime stellt die Verbrennung der heiligen Schrift hingegen eine gotteslästerliche Schändung des heiligen Textes ihrer Religion dar.
Religionssoziologe: "Religion lässt sich gut für politische Interessen nutzen"
"Deswegen war diese Aktion auch so geplant und so wirksam", sagt Detlef Pollack, Professor für Religionssoziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. "Sie zeigt, wie gut Religion nutzbar ist, um politische Interessen zu verfolgen."
Religionssoziologe Detlef Pollack
Dem irakischen Flüchtling in Schweden sei es nicht darum gegangen, Millionen von Muslimen zu beleidigen, sagt Pollack. "Es ging um die Kritik an der irakischen Regierung", sagt er. "Nur mit einem Plakat, auf dem diese Kritik steht, hätte er nicht so eine Reaktion ausgelöst."
Strafgesetz in Deutschland verbietet solche Aktionen
Möglich war die Aktion in Schweden nur, weil dort die Meinungsfreiheit juristisch einen höheren Stellenwert hat als die Religionsfreiheit. Ähnlich verhält es sich in Frankreich, wo ebenfalls die Gesetze, die Blasphemie - also Gotteslästerung - verbieten, gelockert bzw. abgeschafft wurden.
In Deutschland hingegen legt das Strafgesetz sehr klar fest, dass solche Aktionen nicht erlaubt sind. Im Paragraf 166 steht, dass eine Person, die "religiöse oder weltanschauliche Bekenntnisse anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören" mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden kann.
Lösung: "Demütigung der Religion von politischen Interessen entkoppeln"
"In Deutschland entscheidet der Gesetzgeber eher zu Gunsten der Religion", sagt Pollack. In Ländern, in denen das nicht so ist, sei es die Aufgabe der Zivilgesellschaft zu verhindern, dass es zu Unruhen kommt. "Das ist dann ein stetiger Aushandlungsprozess zwischen den Akteuren, der auch viel Verständnis erfordert", sagt Pollack.
Helfen könne dabei, wenn die Beteiligten erkennen, dass solche Aktionen häufig einen politischen Hintergrund haben. "Dann kann es gelingen, die vordergründige Demütigung der Religion von politischen Interessen zu entkoppeln und die Tat als das zu sehen, was sie ist: ein politisches Statement", sagt Pollack.