Jurist zu Kubicki-"Flirt" bei Treffen mit Koch-Mehrin: "Sexuelle Belästigung"

Stand: 14.10.2022, 20:38 Uhr

Nach der "Flirt"-Äußerung von Wolfgang Kubicki hat Silvana Koch-Mehrin im Interview ihre Sicht auf die damalige Situation geschildert. Ein Arbeitsrechtler hält den Fall wegen sexueller Belästigung für juristisch relevant.

Kubicki erzählte am Mittwochabend bei Maischberger vor laufender Fernsehkamera, er habe damals bei einem Kaffee mit Silvana Koch-Mehrin "geflirtet", als er ihr den Posten der FDP-Generalsekretärin schmackhaft machen wollte. Seine Antwort auf die Nachfrage, ob er das heute auch noch so tun würde: "Zu flirten? Immer!"

Kubicki zeigte sich sicher, dass die Parteifreundin das bis heute nicht schlimm finde. "Fragen Sie mal Silvana Koch-Mehrin!", so Kubicki zu Maischberger. "Daran hat sie nichts Anstößiges gefunden."

Das sagt Silvana Koch-Mehrin

Silvana Koch-Mehrin

Der WDR hat gefragt - und mit Koch-Mehrin über die Situation damals gesprochen. Zu Kubickis Auftritt bei "Maischberger" sagte sie dem WDR, es gehe ihr nicht darum, einzelne Persönlichkeiten bloßzustellen. "Das lenkt irgendwie ab." Sie habe das Verhalten von Kubicki damals beim Kaffee nicht als Problem wahrgenommen. Und genau das sei das Problem. Vor 20 Jahren habe sie ihren Mann gebeten, nach einer Stunde zu dem Kaffee-Plausch mit Kubicki dazuzustoßen, weil sie schon vermutet habe "da ist mehr im Spiel". Diese Vorsichtsmaßnahme habe sie als "sehr gewieft und sehr schlau" angesehen. Heute empfinde sie es als "absurd", dass im 20. Jahrhundert hierzulande man als Frau darauf zurückgreifen müsse, dass ein Mann sie schütze.

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Koch-Mehrin berichtet in ihrem Buch über übergriffige Situationen

Übergriffige Situationen sind Koch-Mehrin alles andere als fremd. Darüber berichtet sie in ihrem erst kürzlich erschienen Buch. Ein Beispiel: Ein Europaabgeordneter habe ihr in seinem Zimmer wortlos die Hand unter die Bluse geschoben. Sie selbst sei zu diesem Zeitpunkt noch Praktikantin gewesen. "Ich war wie erstarrt. Sagte dann irgendwann: 'Was machen Sie denn da?' Er lachte dann verlegen und versuchte, die Sache herunterzuspielen", erzählt sie unlängst in einem Interview.

Anstößig finden das auch Userinnen und User in den sozialen Netzwerken. "Stell dir vor, dein Vorgesetzter bietet dir einen beruflichen Aufstieg an und will sich mit dir treffen. Und beim Treffen fängt der Typ dann an, dich ungebeten anzugraben. Wow, creepy", twitterte zum Beispiel Katharina Nocun, Publizistin und früher in der Piratenpartei aktiv.

Kubicki wehrt sich gegen die Vorwürfe: Er halte die Unterstellung, er habe "eine Machtposition ausgenutzt, für unseriös und für journalistisch unprofessionell", sagte er dem "Spiegel". Eine entsprechende Machtposition habe er zum Zeitpunkt des Treffens mit Koch-Mehrin nicht innegehabt.

Arbeitsrechtler: "Sexuelle Belästigung"

Ganz so locker schätzt der Kölner Fachanwalt für Arbeitsrecht, Martin Pröpper, die geschilderte Situation allerdings nicht ein: "Wenn das Gespräch so gelaufen ist, ist es juristisch relevant, ist es sexuelle Belästigung und verstößt gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz." Das nämlich fordere einen "diskriminierungsfreien Arbeitsplatz", sagte Pröpper dem WDR am Freitag.

Für Franziska Müller-Rech, Vorsitzende der FDP Bonn und bis vor kurzem NRW-Landtagsabgeordnete, steht fest: Kubicki habe mit dieser Äußerung zum wiederholten Mal "die Meinung der FDP nicht angemessen vertreten". Zeige er jetzt kein Einsehen, sei Kubicki für die Liberalen "nicht mehr tragbar".

In der FDP-Parteizentrale ist man sich offenbar noch nicht schlüssig, wie man mit dem neuerlichen Faux-Pas des stellvertretenden Bundesvorsitzenden umgehen soll. Auf WDR-Anfrage hieß es am Freitag nur: Es gebe Leitlinien für respektvolles Miteinander miteinander, an die müsse sich jeder halten.

Sexismus-Vorwürfe in der Politik

Erfahrungen mit Sexismus und sexueller Belästigung scheinen für Politikerinnen grundsätzlich keine Seltenheit zu sein. Die parteiinterne Affäre um Sexismus und sexuelle Übergriffe aus dem Sommer 2022 bei den Linken, die Vorwürfe gegen FDP-Politiker Rainer Brüderle sowie die gegen den Berliner CDU-Chef Frank Henkel 2016 - dies sind nur einige der Fälle, die öffentlich diskutiert wurden. In einer Studie des Instituts Allensbach von 2021 antworteten 40 Prozent der befragten Politikerinnen, sie seien schon einmal sexuell im Rahmen ihrer Tätigkeit belästigt worden, bei den Unter-45-Jährigen waren es sogar 60 Prozent.

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