Cover von "verknallt in einen Talahon" von Butterbro

KI-Song über Jugend-Phänomen: Wie der "Talahon" die Charts stürmte

Stand: 30.08.2024, 06:00 Uhr

"Verknallt in einen Talahon" ist der erste Charts-Hit, der von einer künstlichen Intelligenz komponiert wurde. Nicht nur über die Produktionsweise, auch über den Inhalt des Songs wird kontrovers diskutiert. Ein Interview mit dem Produzenten.

Von Ingo NeumayerIngo Neumayer

Wurde am 9. August ein neues Kapitel in der Musikgeschichte aufgeschlagen? Und wenn ja: Wird es ein Schauermärchen oder eine Erfolgsstory? Fakt ist: An diesem Tag erreichte der Song "Verknallt in einen Talahon" Platz 48 der deutschen Charts. Der Song, der musikalisch an die deutschen Schlager der 60er erinnert, wurde von einer künstlichen Intelligenz (KI) komponiert, gespielt und gesungen. Er ist der erste seiner Art, der eine gewisse Masse erreichen konnte.

Fünf Millionen Aufrufe auf Spotify, zig Videos auf TikTok und Instagram, die den Song verwenden: Dem Produzenten Josua Waghubinger, der den Song unter dem Künstlernamen Butterbro zunächst als kleine Spielerei veröffentlicht hat, ist ein echter Überraschungshit gelungen. "Dass ich damit in den Charts gelandet bin, darüber bin ich immer noch jeden Tag baff", sagte er im Interview mit dem WDR.

Welche Technik haben Sie für den Song benutzt? Eine spezielle Software für Profis?

Josua Waghubinger: Nein, das war eine Allerweltsversion. Das Programm heißt Udio, das kann jeder gratis nutzen. Ich habe mir allerdings das Abo der Premium-Variante gekauft, um mehr Optionen zu haben und ein bisschen experimentieren zu können.

Es war also schon etwas Arbeit? Sie haben nicht nur schnell mal eine Aufgabenbeschreibung, einen so genannten Prompt, geschrieben und die KI den Rest machen lassen?

Website des KI-Musik-Generators "Udio"

Songschreiben leicht gemacht dank KI

Waghubinger: Nein, ein bisschen mehr steckt da schon dahinter. Ich habe zunächst eine 30-sekündige Version hochgeladen, die dann ziemlich schnell auf TikTok zum Ohrwurm wurde. Darauf wurde ich oft angeschrieben, die Leute wollten einen ganzen Song haben und nicht nur den Refrain. Also habe ich dann noch Strophen, Intro und Outro hinzugefügt. Insgesamt habe ich bestimmt über 100 Versionen generiert, bis der Song so war, wie ich ihn wollte.

Den Text des Songs haben Sie selbst geschrieben. Warum? Das hätte ja auch die KI machen können.

Waghubinger: Ich bin kein Freund der Prosa, die durch eine KI entsteht. Dafür ist sie einfach noch nicht gut genug, was den Spannungsaufbau angeht oder die Sauberkeit der Reime. Da lässt die Technik durchaus noch zu wünschen übrig. Der Text trägt ja einen großen Teil zur Qualität eines Songs bei, und da ist die KI noch nicht so weit. Dazu kommt, dass der "Talahon" ein Thema ist, mit dem die KI im Moment noch nicht viel anfangen kann. Da hat sie zu wenig Informationen, um einen Text zu machen, der das aussagt, was ich wollte.

"Talahon" beschreibt meist arabischstämmige junge Männer, die sich oft stereotyp verhalten und kleiden: Bauchtasche, gefälschte Markenklamotten, kurz rasierte Haare an den Seiten, meist großspuriges Auftreten in der Öffentlichkeit. Wie kamen Sie auf die Idee?

Produzent Butterbro Talahon-Song

Produzent Waghubinger alias Butterbro

Waghubinger: Als ich die Idee hatte, gab es um das "Talahon"-Phänomen schon einen gewissen Hype, so hat der Langenscheidt-Verlag es in die Auswahl zum "Jugendwort des Jahres" genommen. Der "Talahon" ist auf gewisse Art auch ein Meme-Charakter und somit ein dankbares Thema für einen Song, vor allem in dieser Kombination: Auf der einen Seite ein modernes Jugendthema, auf der anderen Seite Schlagermusik, die an die 60er erinnert. Für mich steht "Talahon" für einen Lebensstil mit gewissen Eigenarten, die selbst gewählt sind: der Kleidungsstil, das Verhalten, die Ausdrucksweise.

Manche Menschen finden den Text provokant und latent rassistisch.

Waghubinger: Wenn man behauptet, "Talahons" seien ausschließlich Personen mit Migrationshintergrund, ist das eine unzulässige Stigmatisierung, die vor allem von Rechtsextremen kommt und von der ich mich distanziere. So wie ich das sehe, gibt es auch weiße junge Männer und sogar Frauen, die sich als "Talahon" sehen. Für mich geht es bei dieser Jugendkultur um den Stil und das Auftreten, aber nicht um die Herkunft.

Im Text heißt es aber auch: "Das Messer in der Tasche ist bestimmt nicht nur fürs Butterbrot"... Damit werden ja durchaus Klischees bedient.

Waghubinger: Es gibt mit Sicherheit "Talahons", die aggressiv und mit einer gewissen Macho-Attitüde unterwegs sind. Ob da dann auch eine gewisse Selbstironie mitschwingt oder nicht, wird meist nicht ganz klar. Aber Gewalt und Gewaltverherrlichung gehören thematisiert und kritisiert, und mein Song stellt diese selbstgewählten Eigenschaften der "Talahons" in gewisser Weise auf den Prüfstand. Ich sehe ihn insofern als unterschwellige Kritik, die manche erkennen, andere hingegen nicht.

Wer kriegt eigentlich die Einnahmen des Songs - Sie oder die Software-Firma, die die KI programmiert hat?

Waghubinger: Die Firma kriegt nur die Gebühren für das Abo, das ich abgeschlossen habe. Ansonsten liegen die Rechte an dem Song bei mir, das steht so in den Verträgen.

Was sagt es über den aktuellen Zustand der Popmusik aus, wenn eine KI Songs schreibt, die genauso gut, zumindest aber genauso erfolgreich sind wie die von Menschen gemachten?

Waghubinger: Wenn dahinter die Frage steckt, ob der Song jemanden verdrängt hat: Das glaube ich nicht. Der Song wäre so nie von einem Menschen produziert worden. Und wenn man sich die Charts der vergangenen Jahre und Jahrzehnte ansieht: Da findet man viel Ähnliches, vom Krokodil "Schnappi" bis zum "Crazy Frog". Viele DJs benutzen Vocal-Synthesizer, die menschliche Stimmen ersetzen, und selbst Depeche Mode wurden in den 80er hart dafür kritisiert, dass sie ausschließlich elektronische Instrumente benutzten. Die Technisierung der Musik gibt es schon lange, neu ist nur der Grad der Automatisierung. Ich habe einfach ein paar große Schritte in viel kürzerer Zeit zusammengefasst. Was ist bei einer Musikproduktion überhaupt noch menschlich? Diese Frage ist immer schwieriger zu beantworten.

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