Jahrhunderthochwasser: "Begriff passt nicht in Zeiten des Klimawandels"
09:35 Min.. Verfügbar bis 02.06.2026.
Jahrhunderthochwasser: "Begriff passt nicht in Zeiten des Klimawandels"
Stand: 02.06.2024, 14:00 Uhr
Im Südwesten von Deutschland wird aktuell an mehreren Flusspegeln ein Jahrhunderthochwasser gemeldet. Der Begriff sei aus der Zeit gefallen, sagt ARD-Meteorologe Andreas Wagner.
In vielen Regionen Süddeutschlands sind in der Nacht zu Sonntag nie dagewesene Pegelstände gemessen worden. So meldeten die Behörden ein "Jahrhunderthochwasser" an den Flüssen Günz, Memminger Ach, Kammel, Mindel, Paar und Maisach. Doch was heißt das genau? Fragen an den Meteorologen und Hydrologen Andreas Wagner vom ARD-Wetterkompetenzzentrum.
WDR: Herr Wagner, hat der Begriff "Jahrhunderthochwasser" überhaupt noch einen Sinn, wenn es ständig zu solchen Ereignissen kommt?
Andreas Wagner: Ich halte von dieser Bezeichnung nichts. Ursprünglich hatten die Hochwasserzentralen den Begriff geprägt. Gemeint ist eine außergewöhnlich starke Pegelhöhe oder Abflussmenge eines Gewässers, die im statistischen Mittel nur einmal in 100 Jahren erreicht oder überschritten wird.
WDR: Mit der Realität hat das aber nichts mehr zu tun?
Andreas Wagner
Wagner: Offenbar nicht. Ein Beispiel: Der Donau-Pegel bei Passau lag im März 2002 bei 9,39 Metern. Nur fünf Monate später lag der Wert schon bei 10,81 Metern. Im Juni 2013 wurden bereits 12,89 Meter gemessen. Das sind gleich drei Jahrhunderthochwasser innerhalb von nur elf Jahren. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Der Begriff passt einfach nicht mehr in Zeiten des Klimawandels.
WDR: Gibt es auch Beispiele aus Nordrhein-Westfalen?
Wagner: Der Rheinpegel bei Emmerich ist so ein Fall, aber anders als man denken könnte. Dort gibt es immer wieder neue Rekorde in Sachen Niedrigwasser - sozusagen "Jahrhundertniedrigwasser" in Serie. Von den zehn niedrigsten jemals gemessenen Pegeln bei Emmerich sind neun seit dem Jahr 2002 aufgetreten.
WDR: Rekordhochwasser wären doch schlimmer gewesen, oder?
Wagner: Ja, aber das Problem ist komplex. Durch die Erwärmung der Atmosphäre kann es örtlich einmal zu Phasen von langer Trockenheit kommen. Gleichzeitig ist aber auch mehr Feuchtigkeit in der Luft vorhanden, weil warme Luft mehr Wasser speichern kann als kalte. Hinzu kommt, dass durch die globale Erwärmung erheblich mehr Wasser aus den Ozeanen verdampft. Das führt einmal zu lang anhaltenden Dürren, aber auch zu extremen Starkregen - und damit steigt auch wieder die Hochwassergefahr.
WDR: Also müssen wir uns auf neue Rekorde einstellen?
Wagner: Die Katastrophe im Ahrtal ist uns allen ja noch im Gedächtnis. Im Dezember und Januar gab es in weiten Teilen von Niedersachsen aber auch in Ostwestfalen über Wochen starkes Hochwasser. Vor drei Wochen hat es das Saarland erwischt und jetzt ist Süddeutschland dran. Die Ereignisse nehmen zu, da gibt es nichts zu diskutieren.
Das Interview führte Andreas Poulakos.
Über das Hochwasser in Südwestdeutschland berichten am 02.06.2024 auch laufend in unseren TV- und Hörfunkprogrammen.
Quelle:
- Interview mit Andreas Wagner (ARD-Wetterkompetenzzentrum)