Reinhold Messner - Archivbild

WDR-Interview mit Reinhold Messner: Bergsteiger-Legende wird 80

Stand: 17.09.2024, 06:01 Uhr

Er ist Bergsteiger, Umweltschützer und streitbarer Geist - Reinhold Messner wird heute 80. Und der Mann ist immer noch ständig unterwegs. Ein Getriebener sei er aber nicht, erklärt er im Interview mit dem WDR.

Der 1944 in Südtirol geborene Extrembergsteiger Reinhold Messner hatte 1978 als erster Mensch den Nanga Parbat allein erkletterte, im selben Jahr steigt er ohne Sauerstoff auf den Mount Everest.

Er machte Bergsteigen populär mit begeisternden Erzählungen über die Berge, ihre Geheimnisse, ihre herausragende Bedeutung in der Natur. Vor seinem 80. Geburtstag hat WDR-Reporter Gereon Helmes mit dem Ausnahmebergsteiger gesprochen. Gleich zu Beginn des Interviews verriet Messner, dass er in diesem September nur einen einzigen Tag frei habe.

Interview mit Reinhold Messner

WDR Studios NRW 17.09.2024 02:59 Min. Verfügbar bis 17.09.2026 WDR Online


WDR: Warum haben Sie noch so ein Programm mit 80?

Reinhold Messner: Manchmal frage ich mich auch, warum ich mir das noch antue. Aber ich mache den Terminkalender nicht. Ich gehe dem Ende entgegen. Das ist mir ohne Bedauern bewusst, weil ich ja die verrücktesten Sachen auf dieser Welt machen durfte. Ich bin heute froh, ein paar Freunde zu haben, die sich um mich kümmern. Die das können, was ich nicht kann. Das ist ein Problem, das in der Öffentlichkeit nicht diskutiert wird, dass es eine ganze Generation gibt, die mit dem Internet nicht richtig umgehen kann. Ich brauche eine Betreuung dabei und bin froh, dass ich die habe.

WDR: Aber Sie wissen schon, dass Ihnen in diesem Internet bei Instagram über 200.000 Leute folgen?

Messner: Ich kann das nach wie vor nicht. Ich gebe nur einen Input. Das ist eine ganz eigene Form der Erzählung. Ich hab ganze Bücher über meine Expeditionen geschrieben,  jetzt reichen drei Zeilen, um zu sagen, ich bin gerade zurück vom Kailash, vom heiligsten Dach der Welt.

Ganz oben: Reinhold Messner wird 80

Von Ingo Neumayer

Wo sind meine Grenzen? Diese Frage treibt Reinhold Messner an, seit er denken kann. Am 17. September 2024 feiert der bekannteste Bergsteiger der Welt seinen 80. Geburtstag.

Reinhold Messner am Mount Everest

Wer in Südtirol geboren wird, kriegt die Liebe zu den Bergen schon in die Wiege gelegt. Entsprechend viele Bergsteiger gibt es dort. Bei Reinhold Messner, der am 17. September 1944 in Brixen zur Welt kommt, ist die Leidenschaft allerdings extremer als bei den anderen: Er will höher und weiter kommen als der Rest. Mit fünf Jahren erklimmt er seinen ersten Dreitausender.

Wer in Südtirol geboren wird, kriegt die Liebe zu den Bergen schon in die Wiege gelegt. Entsprechend viele Bergsteiger gibt es dort. Bei Reinhold Messner, der am 17. September 1944 in Brixen zur Welt kommt, ist die Leidenschaft allerdings extremer als bei den anderen: Er will höher und weiter kommen als der Rest. Mit fünf Jahren erklimmt er seinen ersten Dreitausender.

Schon mit Anfang zwanzig gehören Messner und sein jüngerer Bruder Günther zu den besten Bergsteigern Europas, die viele Erstbesteigungen in den Alpen machen. 1970 fliegen sie in den Himalaya, um die höchste Steilwand der Erde zu erklimmen: die Rupalwand des Nanga Parpat. Doch die Expedition scheitert furchtbar. Günther Messner stirbt beim Abstieg, Reinhold schleppt sich sechs Tage lang mit schwersten Erfrierungen ins Tal. Ihm müssen sieben Zehen amputiert werden.

Doch Messner geht weiter in die Berge. Zusammen mit seinem Kletterpartner Peter Habeler besteigt er 1978 den höchsten Berg der Welt. Die beiden sind die ersten Menschen, die es ohne zusätzlichen Sauerstoff bis ganz nach oben auf den Mount Everest schaffen.

Im Gegensatz zu den Materialschlachten, die sich viele Extrembergsteiger liefern, setzt Messner auf ein anderes Konzept. Er verzichtet auf vorbereitete Lager und Depots, benutzt keine Fixseile, Leitern oder technischen Hilfsmittel. Schnell hoch, schnell runter, und das in möglichst kleinen Gruppen. Manchmal zieht er auch ganz alleine los: 1978 schafft er den Soloaufstieg am Nanga Parbat, zwei Jahre später am Mount Everest.

Als Messner und Habeler zurückkehren, werden sie nicht nur von ihren Frauen freudig empfangen. Auch die Öffentlichkeit ist begeistert von den Leistungen der beiden. Vor allem Messner weiß sich gut zu präsentieren und wird schnell zum Superstar der Kletterszene.

Ist das der Yeti? Nein, nur ein Kaninchen, das Messner aus dem Hut zaubert. Auch bei "Stars in der Manege" gibt er eine gute Figur ab.

In den 80er Jahren liefert sich Messner ein Duell mit dem polnischen Bergsteiger Jerzy Kukuczka: Wer erklimmt zuerst alle vierzehn Achttausender der Erde? Im Tal wartet Messners Familie und bangt um seine Rückkehr. Am Ende gewinnt Messner. Am 16. Oktober 1986 besteigt er seinen 14. und letzten Achttausender: den Lhotse. Spätestens da wird aus dem Bergsteiger Messner eine Legende.

In der Höhe hat Messner alles erreicht. Also sucht er sich neue Extremherausforderungen. 1990 durchquert er zu Fuß die Antarktis. 2.800 Kilometer, ohne Schlittenhunde, ohne Lager, ohne technische Hilfsmittel. Er und sein Partner Arved Fuchs quälen sich 92 Tage lang durch das ewige Eis. Der Wind bläst mit über 100 km/h, die Temperaturen fallen auf minus 40 Grad.

Seiner Heimat Südtirol bleibt Messner immer treu. In den Achtzigern kauft er das mittelalterliche Schloss Juval im Vinschgau und bewohnt es zeitweise. Später errichtet er dort ein Museum.

Vom Bergsteiger zum Bauern: Messner betreibt eine Landwirtschaft und versucht, so autark wie möglich zu leben. Eier, Gemüse, Obst – das alles kommt vom eigenen Hof. Auch so genannte "Messner-Rinder", eine Kreuzung aus Yak und Schottischem Hochlandrind, hält er dort.

1995 bremst ein Unfall Messners Abenteuerlust. Nach einem Abendessen mit Günther Jauch kehrt er nach Hause zurück, doch das Schlosstor ist verschlossen. Ironie des Schicksals: Messner klettert über eine drei Meter hohe Mauer und stürzt ab. Die Folge: Sein Fersenbein ist zertrümmert und muss in einer komplizierten Operation gerichtet werden. Alpine Großtaten sind für ihn seitdem nicht mehr möglich.

Dafür stellt sich Messner anderen Herausforderungen. Er trifft sich mit Politikern, engagiert sich für den Umwelt- und Naturschutz. 1999 zieht er für die italienischen Grünen ins EU-Parlament ein.

Bücher, Vorträge, Reden: Messner weiß, wie er sich und seine Taten vermarkten und verkaufen kann. Und ganz kann er dann doch nicht von den Extremtouren lassen. Seinen 60. Geburtstag verbringt er in der Wüste Gobi, die er alleine zu Fuß durchquert. Danach fasst er den Entschluss: Das mache ich nicht noch einmal.

Messner kümmert sich in der Folge mehr um Privates. Er heiratet ein zweites Mal, verbringt mehr Zeit mit seinen Kindern. Doch natürlich lassen ihn die Berge niemals ganz los. 2019 ist er mit seinem Sohn Simon im Himalaya bei einer Erstbesteigung. Doch während sich Simon auf den Gipfel des Sechstausenders macht, bleibt er im Basislager und wartet. Ein ungewohnter Rollentausch für den in die Jahre gekommenen Reinhold Messner, mit dem er aber gut zurecht kommt. Am 17. September 2024 feiert er seinen 80. Geburtstag.

WDR: Welche Rolle spielt Alter? Haben sie damit gerechnet, 80 zu werden?

Messner: Nein, ich habe nie damit gerechnet, 40 zu werden. Dann war ich plötzlich 40 und immer noch zu jung, um vor dem Fernseher auf die Rente zu warten. Generell schaue ich nicht in die Vergangenheit. Im Hier und Jetzt bin ich glücklich. Gestalten ist für mich Gelingen des Lebens. Das ist das, was mich glücklich macht. Und ich bin glücklich, dass ich noch Ideen habe.

WDR: Sind Sie ein Getriebener?

Messner: Ich bin eher ein Spieler. Aber als Spieler natürlich auch einer, der mitspielen will. Ich bin mit dem Leben, das mir noch bleibt und dem Tod einverstanden.

Reinhold Messner auf dem Nanga Parbat in Pakistan im Jahr 1978

Messner auf dem Nanga Parbat

Ich habe lange Zeit das Klettern mitbestimmt, ich habe vor allem im Achttausender-Bergsteigen eine völlig neue Zugehensweise gefunden, habe aufgehört mit dieser kolonialistischen Weise "Wir erobern die Berge, wir sind Helden", sondern eher, wir sind winzig in dieser riesigen Natur. (... ) Ich bin jetzt dabei, das Erbe zu übergeben.

Nur weil ich so ein intensives Leben geführt habe, bin ich zu der Erkenntnis gekommen: Das Altern ist ein großartiger Prozess.

WDR: Was soll bleiben von ihnen?

Messner: Er hat es gewagt, sein Leben zu leben, gegen alle Widerstände, gegen alle Gegenwinde – ob in der Antarktis oder in der Öffentlichkeit. (…) Ich habe auch Fehler gemacht. Ich verdanke den Widerständen und den Widerständlern, die versucht haben, mich zu bremsen, meine Erfolge.

Das Interview von WDR-Reporter Gereon Helmes wurde für die Online-Version gekürzt und sprachlich bearbeitet.

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 17.09.2024 auch im Hörfunk: WDR 5 Morgenecho, ab 6 Uhr.