KOLUMNE

Frauensport: Endlich mehr Wertschätzung, aber da geht noch was!

Stand: 29.07.2022, 06:00 Uhr

Fußball-EM und Tour de France beweisen, wie stark und spannend der Frauensport ist. Er verdient die gleiche Anerkennung, meint Caro Wißing.

Von Caro Wißing

300 Meter vor dem Ziel. Vos steigt aus dem Sattel, gibt alle Kraft in die Pedale. Ein paar Meter weiter rechts tritt auch Wiebes an. Kurz sind sie gleich auf, das restliche Feld haben sie hinter sich gelassen. Dann aber macht sich Wiebes noch einmal lang und fährt über die Ziellinie der Champs-Élysées. Meine Beine brennen allein vom Zusehen. Ich kann richtig mitfühlen mit IHR - der ersten Etappensiegerin bei der Tour de France Femmes.

Fortschritte für den Frauensport

Radrennfahrerin Marianne Vos bei der 4. Etappe der Tour de France Femmes | Bildquelle: IMAGO/frontalvision.com

Nach rund drei Jahrzehnten gibt es erstmals wieder den Tour-Ableger der Frauen. Und ganz ehrlich: Für mich als Hobby-Fahrerin bedeutet das was. Die Männerausgabe des Rennens geht meistens an mir vorbei. Ich schaue mir ab und zu eine Zusammenfassung an. Das war's. Aber diese acht Etappen der Frauenrundfahrt fesseln mich. Ich klebe am Handy, schaue mir auf Instagram an, was die Fahrerinnen rund um das Rennen posten. Endlich kann ich mich identifizieren mit denen, die da die Berge im Wiegetritt hochasten oder in den Massensprint gehen. Und ich denke: Vielleicht (ganz vielleicht) könnte ich das auch, eben ohne ein Mann zu sein.

"Es ist eine riesige Chance, eine ganz große Plattform. Das Medieninteresse ist einfach wahnsinnig hoch. Für uns ein großer Schritt nach vorne." Lisa Brennauer, deutsche Radrennfahrerin

Es gibt auch andere Ableger großer Rennrad-Events - den Giro Donne beispielsweise. Aber die Tour de France ist natürlich DIE Marke schlechthin. Jeder verbindet damit das prestigeträchtigste Radrennen der Welt. Dass die Frauen jetzt auch von dieser Marke profitieren, ist richtig und wichtig und überfällig.

Frauen bekommen weniger Aufmerksamkeit

Radsportlegenden? Dann fallen Namen wie Lance Armstrong (trotz Dopingskandals), Chris Froome, Eddy Merckx. Marianne Vos ist sicher nicht dabei. Obwohl die Niederländerin in den letzten Jahren Weltmeistertitel, Olympiasiege und Etappenerfolge sammelt wie niemand sonst in dem Sport. Aber sie als Frau bekommt kaum Aufmerksamkeit. Kein Wunder, dass sie sich dafür eingesetzt hat, dass das berühmteste Straßenrennen auch wieder eine Frauen-Edition bekommt.

Aufmerksamkeit bedeutet Sponsorengelder, bedeutet bessere Ausstattung, höhere Preisgelder - es rückt die Sportlerinnen endlich zumindest in die Nähe dessen, was für die Männer längst selbstverständlich ist.

EM-Halbfinalspiel: Alexandra Popp (2.vr) bejubelt ihr Tor zum 2:1 mit ihren Teamkolleginnen | Bildquelle: Nick Potts/PA Wire/dpa

Viel zu lange war Frauensport das, was es halt auch noch gibt - neben dem richtigen Sport. Ein Anhängsel. Es gibt die Fußball-EM und die Frauen-Fußball-EM. Doch auch da tut sich gerade was, ist mein Gefühl. Die Begeisterung für das Turnier ist riesig. Das Halbfinale Deutschland-Frankreich sorgte für Rekord-Einschaltquoten! Das wird auch daran liegen, dass die Fußball-EM in diesem Jahr in einem Land stattfindet, das den Frauenfußball fördert und anerkennt. Die Atmosphäre in den Stadien - Hammer! Und die sind nicht nur jetzt zur EM voll. Bei uns spielen sogar die Erstliga-Teams leider noch allzu oft vor leeren Rängen.

Deutsche Spielerinnen sprechen immer wieder über die unfaire Behandlung und die schlechteren Bedingungen. Es sind ehemalige Profis wie Inka Grings oder Steffi Jones und aktuelle Spielerinnen wie Lina Magull, eine der Torschützinnen dieser EM. Sie beklagen sich nicht nur, sie machen auch konkrete Vorschläge wie es besser sein kann, was sich ändern müsste in den Vereinen und Verbänden, und auch in den Medien. Aber noch werden sie zu wenig gehört.

Gehälterfrage: Männer verdienen ein Vielfaches

Die Bezahlung steht ganz oben auf der Liste. Erstliga-Spielerinnen werden teilweise so schlecht bezahlt, dass sie davon nicht leben können. "Sich ganz auf den Sport konzentrieren - wie soll das gehen?", fragt Inka Grings, "wenn eine Spielerin acht Stunden vorher arbeiten geht und anschließend nur einmal am Tag die Möglichkeit hat zu trainieren? Geschweige denn, sich vorzubereiten, zu regenerieren."

Es müssen nicht die absurd hohen Summen sein, die die männlichen Spieler verdienen. Aber die Gehälter sollten das abbilden, was die Frauen leisten: Hartes Training, enormer Druck, Höchstleistung auf den Punkt, körperliche Verausgabung, die nur bis zu einem gewissen Alter möglich ist. Caro Wißing

Eine Kollegin von mir hat vor einigen Tagen junge Fußballspielerinnen interviewt. Was die allein erzählen, hat mich erschrocken. Selbst in den Jugendabteilungen der Fußballvereine wird schon unterschieden: Die Jungs dürfen auf dem feinen Kunstrasenplatz trainieren - die Mädchen müssen sich auf Asche die Knie aufschlagen. Auch in den Profivereinen gibt es oft noch eine Geschlechtertrennung: Die Männer haben High-End-Sportanlagen, Physiotherapeuten und Mental-Coaches - die Frauen vielleicht nur eines davon.

Was soll das? Da beißt sich die Katze doch selbst in den Schwanz. Es heißt von den Oberen: Die Frauen bringen nicht so viele Sponsorengelder und Einnahmen ein. Dementsprechend wird nicht so viel in sie investiert. Auch nicht so viel PR. Folglich mangelt es an Aufmerksamkeit. Vorbilder und Sportheldinnen fehlen, die für Zuschauer den Anreiz geben, Fan zu werden und regelmäßig zuzuschauen. Die Stadien werden nicht voll. Und so gibt's auch weniger Sponsorengelder und Einnahmen…

Andere Länder machen vor wie's besser geht

Die Verbände in anderen Ländern machen #equalpay bereits in gewissem Maße vor. Die Teams von England und Brasilien bekommen die gleichen Preisgelder - egal ob Männer oder Frauen.

Der Verein Manchester City hat einen gemeinsamen Social Media Auftritt der Frauen- und Männermannschaft bei Instagram. Sie pushen sich gegenseitig. Ligaspiele der Frauen sind in England viel häufiger prominent im TV platziert oder werden gestreamt. Die englischen Spielerinnen sind einfach präsenter, dadurch bekannter und schließlich besser gefördert. So kann's gehen.

Bei anderen Sportarten wie Biathlon oder Reiten haben wir schon lange eine Gleichrangigkeit von Frauen und Männern. Manche behaupten, in diesen Sportarten würde - anders als im Fußball oder beim Radrennen - der Leistungsunterschied zwischen den Geschlechtern nicht so sehr auffallen. Frauen seien weniger athletisch, technisch nicht auf der Höhe mit Männern, nicht so schnell. Bullshit, sage ich. Als ob es auf diese mittlerweile echt minimalen Unterschiede ankäme! Im Sport geht es um den Wettbewerb, die Leidenschaft, darum, dass Sportlerinnen und Sportler alles geben. Wir wollen mit unseren Idolen mitfiebern und es ihnen am liebsten nachmachen. Das begeistert uns doch am Sport.

Marianne Vos hat nach ihrem Sieg auf der zweiten Etappe der Tour de France Femmes das gelbe Trikot überstreifen dürfen. Ob das immer ihr Traum gewesen sei, wird sie gefragt. "Das gelbe Trikot war nie ein Traum von mir, weil es das für Frauen nicht gab", sagt sie und verweist auf die nicht stattgefundene Tour in den letzten Jahren. Jetzt aber kann sie Vorbild sein für viele, viele Nachwuchsfahrerinnen. Ich feiere sie dafür!

Begeistert Sie auch der Aufschwung im Frauensport? Vermissen Sie in anderen Sportarten weibliche Stars? Oder sind Sie der Meinung, dass es für die Identifikation egal ist, ob Frauen oder Männer an den Start gehen? Lassen Sie uns darüber diskutieren! Hier in den Kommentaren oder auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

  • Christian 04.08.2022, 16:16 Uhr

    ich komme aus einem kleinen Ort im Westmünsterland und einer Region wo viele Mädchen in den Vereinen Fußball spielen. Ihnen geht es nicht um die große Karriere sondern am Spaß miteinander in einem Team zusammen zu spielen. SIe haben männliche und auch weibliche Vorbilder und das ist auch gut so und sollte nicht wieder von oben mit einem Zwang zu einer Frauenfußballquote oder ähnlichem kanalisiert werden. Ich spiele nebenbei auch in einer Mannschaft mit seit 2015 in Deutschland lebenden, arabischen Flüchtlingen. Auf die Frage ob sie die Frauen EM geschaut haben, antworteten sie, wie aus der Pistole geschossen, das Fußball schlecht für Frauen wäre. Hier sollte erst einmal ein Ansatz erfolgen, um die alten Klischees und Vorurteile abzubauen.

  • Losgehts 01.08.2022, 21:14 Uhr

    Nieder mit den Klischees. Mädchen wie Jungen brauchen Sport sich Messen und viel Bewegung. Fördert die Mädchen statt ihnen den Spass an Sport und Bewegung abzugewoehnen. Freut euch mit ihnen über schmutzige und zerrissene Kleidung wie ihr es bei jungen selbstverständlich tut. Und vor allem, erlaubt euren Mädchen bequeme Tobekleidung wie es für Jungen normal ist. Das ist der Anfang, danach kämpft dafür, dass eure Mädchen genauso sportlich gefördert werden in Schule und Verein wie Jungen. Eure Begeisterung wird sich übertragen und zur Normalität werden. Das ist die eine Seite, auf der anderen benötigt es eine Frauenquote im Sport bezüglich Sendezeit und Häufigkeit. Eine EM ist wichtiger als irgendwelche Nachrichten aus der 3. Liga. Das muss sich auch in der Berichterstattung zeigen (was es derzeit nicht tut)

    • Wunschdenken 04.08.2022, 11:55 Uhr

      Die Nationalmannschaft der Frauen kann sportlich überhaupt nicht in der 3. Liga mithalten und es ist nur noch Frage der Zeit bis im Frauenfußball "Gender " das Spielfeld beherrscht. Bei Wünschen muss Frau auf der Hut sein, Frau weiß nie , wie der Wunsch realisiert wird?

  • Ilona 01.08.2022, 17:59 Uhr

    Wenn ein Sportler gute Leistung bringt, darf das auch entsprechend gewürdigt werden, egal, ob männlich oder weiblich!!! Aber was wirklich schlimm ist, welche übertrieben hohen Beträge da fließen. Ja, Sportler können nur eine gewisse Zeit spielen. Danach sind sie einfach zu alt. Aber rechtfertigt das solch hohe Summen? Meiner Meinung nach nein! Ich will gar nicht davon anfangen, dass es genügend andere Bereiche gibt, die wesentlich wichtiger sind und wo das Geld viel dringender benötigt wird. Das sprengt hier den Rahmen... Ich hätte einen Vorschlag: die hohen Summen werden weitergezahlt - somit wird die Leistung auch weiterhin gewürdigt - 10-15% erhält der Sportler, der Rest wird für einen guten Zweck gespendet. So haben alle etwas davon. Und noch ein gutes Gefühl. ;-)))

    • Bayern Fan 01.08.2022, 19:09 Uhr

      Sorry Vorschlag abgelehnt. Ich möchte guten Fußball sehen und dafür braucht es Topspieler. Für en Appel und en Ei bekommt kein deutscher Verein einen solchen Spieler. Die Summen resultieren in erster Linie aus den Fernsehgeldern der Privaten,daher bekommen wir in den öffentlichem Sendern keine Champions League etc zu sehen. Mal gespannt wie lange das noch mit der WM und EM bei den Männern so weitergeht. Deutscher Meister 2023/2023= der FC Bayern München, wer sonst.