Häusliche Gewalt: Opfer sind fast immer Frauen

Aktuelle Stunde 07.06.2024 29:03 Min. UT Verfügbar bis 07.06.2026 WDR Von Gereon Helmes

Mehr häusliche Gewalt gegen Frauen - was bringen schärfere Strafen?

Stand: 07.06.2024, 10:45 Uhr

Häusliche Gewalt nimmt weiter zu. Das zeigt ein neuer Bericht des Bundeskriminalamts. Opfer sind überwiegend Frauen - doch Frauenhäuser, in denen sie Schutz finden, gibt es viel zu wenige.

Von Nina Magoley

Schon am Tag ihrer Hochzeit habe ihr Mann sie das erste Mal geschlagen, berichtet Fatima. Das war noch in Afghanistan. Eigentlich heißt die junge Frau anders - doch sie hat Schutz in einem Frauenhaus gesucht, daher möchte sie anonym bleiben.

Während ihrer Schwangerschaft habe er sie mehrmals bewusstlos geschlagen, sagt Fatima. Sie erlitt eine Frühgeburt. Die Gewalt wurde heftiger, er schlug sie täglich, bedrohte sie mit einem Messer. Ein Arzt diagnostizierte eine psychische Erkrankung bei dem Ehemann - aber die Medikamente habe er nicht nehmen wollen.

"Er hat gedroht, mich umzubringen"

2015 floh das Paar mit dem Kind nach Deutschland. Kurz nach ihrer Ankunft im Flüchtlingslager sei eine Frau zu ihr gekommen, die ihr von der Möglichkeit erzählt habe, Schutz in einem Frauenhaus zu suchen, erzählt Fatima dem WDR. "Aber ich hatte Angst, er hat mir gedroht: Wenn du weggehst, bringe ich erst dich, dann das Kind, dann mich selber um." Außerdem habe sie gedacht, ihr psychisch kranker Mann brauche ihre Hilfe. Deshalb sei sie geblieben. Als es 2022 einfach nicht mehr ging, kam Fatima doch ins Frauenhaus.

Wieder deutlich mehr häusliche Gewalt in Deutschland

WDR Studios NRW 07.06.2024 00:22 Min. Verfügbar bis 07.06.2026 WDR Online


6,4 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr

Jede dritte Frau erlebt mindestens einmal in ihrem Leben gewalttätige Übergriffe. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) legten heute das "Bundeslagebild 2023" zur häuslichen Gewalt vor. Demnach ist die Zahl der Straftaten in den letzten fünf Jahren um fast 20 Prozent deutlich angestiegen. 256.276 Fälle registrierte das Bundeskriminalamt 2023, nochmal 6,4 Prozent mehr als im Jahr davor.

Die Statistik unterscheidet zwischen Partnerschaftsgewalt (65,5 Prozent) und innerfamiliärer Gewalt (34,5 Prozent). Opfer häuslicher Gewalt sind zu 70 Prozent Frauen, Täter und Opfer waren der Statistik zufolge überwiegend deutsche Staatsangehörige. Insgesamt am häufigsten betroffen waren mit einem Drittel Menschen zwischen 30 und 40 Jahren.

Von Gewalt bedrohten Frauen stehen in NRW derzeit gerade mal 68 Frauenhäuser mit insgesamt 676 Plätzen zur Verfügung. Hinzu kommen 717 Kinderplätze. Zu wenig, sagt Michiko Park vom Frauen- und Kinderschutzhaus in Troisdorf. Zu ihnen kämen Frauen unterschiedlichster Herkunft - auch sozial. Die meisten hätten keine Hilfe und Unterstützung in ihrem familiären Umfeld.

Manchmal schlagen die Kinder Alarm

 Michiko Park, Frauen- und Kinderschutzhaus in Troisdorf

Michiko Park vom Frauen- und Kinderschutzhaus in Troisdorf

Manche hätten jahrelange Gewalterfahrung hinter sich. "Viele sagen, dass sie sich an die Gewalt gewöhnt hatten", berichtet Park. Dass die Gefahr mit der Zeit steige, bekämen dann oft nur Außenstehende mit - Lehrer, Nachbarn, "die dann die Polizei rufen". Immer wieder seien es sogar die Kinder, die der Mutter sagen würden "Mama, jetzt geh' ins Frauenhaus".

Dabei seien die Kinder immer auch mitbetroffen, sagt Michiko Park, auch, wenn sie keine direkte körperliche Gewalt erfahren. Allein durch das Aufwachsen mit einer Mutter, "die ständig geduckt ist, die aufpassen muss, wenn gebrüllt wird oder eine schwangere Frau geschubst wird". All das seien Formen von Gewalt gegen das Kind, "weil es sich nicht frei entwickeln kann".

Helfen höhere Strafen?

Was gegen gewalttätge Beziehungen helfe? "Höhere Strafen", meint die Sozialpädagogin. "Es wäre wichtig, dass die Täter schnell zur Rechenschaft gezogen werden, und dass sie eine spürbare Strafe erhalten."

Christian Friehoff, Vorsitzender Deutscher Richterbund NRW

Christian Friehoff, Vorsitzender des Deutschen Richterbunds NRW

Christian Friehoff, Vorsitzender des Deutschen Richterbunds NRW, hält schärfere Strafen dagegen für wenig sinnvoll: "In den meisten Fällen geht es darum, dass Situationen eskalieren, so dass der Täter nicht mehr darüber nachdenkt, was gerade passiert." Gleichzeitig sehe das Gesetz bei schwerwiegenden Taten schon jetzt hohe Strafen vor: "Häusliche Gewalt in allen seinen Formen ist jetzt schon strafbar, was die Täter auch wissen", sagt Friehoff. Ein erhöhtes Strafmaß hätte nur dann präventive Wirkung, "wenn ein Täter im Moment der Eskalation inne halten und genau darüber nachdenken würde". Das aber hält Friehoff aufgrund seiner Erfahrung aus dem Gerichtssaal für "nahezu ausgeschlossen".

Gefängnisstrafen möglich auch bei einfacher Körperverletzung

Zurzeit sieht das Gesetz bei Mord eine lebenslange Freiheitsstrafe vor, bei Totschlag bis zu 15 Jahre Gefängnis. Für gefährliche Körperverletzung können Gerichte bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe anordnen. Bei "vorsätzlicher einfacher Körperverletzung" - was in der Regel den Einsatz der Hände des Täters meint - bis zu fünf Jahren. Sexuelle Übergriffe können ebenfalls mit bis zu fünf, Vergewaltigung mit bis zu fünfzehn Jahren Haft geahndet werden, für Stalking liegt die Höchststrafe bei drei Jahren Gefängnis.

Wenn es zu Gewalt in Partnerschaften oder Familie komme, seien meistens Alkohol, andere Drogen, Eifersucht oder Streit im Spiel, sagt der Richter. Selbst, wenn die Gerichte häusliche Gewalt statt, wie häufig möglich, mit Geldstrafen ausschließlich mit Freiheitsentzug ahndeten, würde das "wahrscheinlich nicht einen Einzigen von der Tat abhalten", ist Friehhoff sicher.

Versöhnung im Gerichtssaal

Zudem komme es besonders bei Partnerschaftsgewalt oft gar nicht zur Verhängung einer Strafe, weil sich die Partner vor Gericht plötzlich wieder versöhnen. Meist seien es die Frauen, die den gewalttätigen Männern vor den Augen der Richter verziehen. "Ist die Verletzung noch frisch, wird Strafanzeige erstattet. Wenn dann der Gerichtstermin kommt, macht das Opfer vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch."

Manche Paare befänden sich in einer regelrechten Dauerschleife. Denn gerade für weibliche Opfer hänge an einer Trennung vom Täter oft viel. Eigentlich brauche es da viel mehr Unterstützung, sagt Friehoff: "Mehr Beratungsstellen, mehr Frauenhäuser - da ist noch viel Luft nach oben."

Unsere Quellen:

  • Interview "Fatima" im Frauenhaus
  • Interview Michiko Park, Frauen- und Kinderschutzhaus Troisdorf
  • Interview Christian Friehoff, Deutscher Richterbund NRW
  • "Bundeslagebild 2023" zur häuslichen Gewalt, Bundeskriminalamt
  • Ministerium für Gleichstellung NRW

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 07.06.2024 auch im Fernsehen: WDR aktuell, 12.45 Uhr.