Dieses Graffiti ist riesig. Monumental. Das Werk von Klaus Dauven füllt eine 3.000 Quadratmeter große Staumauer an der Lohmühle im luxemburgischen Vianden. Der Titel lautet: La Mémoire - übersetzt: Die Erinnerung.
Es ist die Erinnerung an die Menschen, die hinter dieser Staumauer stecken. Das Werk zeigt die Porträts von fünf Arbeitern, die vor rund 70 Jahren die Staumauer gebaut haben. "Ich wollte mit der Zeichnung eine Hommage an die Arbeiter schaffen, die den Damm erbaut haben", sagte Dauven.
Die Geschichte des Baus ist auch eine tragische. Beim Bau des Stau- und Pumpspeicherwerks seien damals etliche italienische Arbeiter tödlich verunglückt, berichtete Dauven. Ihnen sei sein Werk gewidmet. Als Vorlagen hätten alte Fotos von den Bauarbeiten gedient. Besonders schwierig seien die Gesichter gewesen. "Da muss man sehr genau aufpassen", sagte Dauven.
Reverse Graffiti bedeutet: Kunstwerke mit Hochdruck aus dem Dreck gefräst
Das Graffiti auf der Mauer ist kein gewöhnliches. Es ist ein Reverse Graffiti. Dauven ist 57 Jahre alt und gilt als Pionier dieser Technik. Im Prinzip ist es ein umgekehrtes Graffiti: Der Künstler sprayt nicht mit Farbe. Sein Werk wird mit Hochdruck aus dem Dreck gefräst- oder vornehmer ausgedrückt: aus der Patina von Oberflächen. Durch das gezielte Abtragen der Verschmutzungen entsteht aus dem Kontrast von gereinigter und ungereinigter Fläche eine Zeichnung.
Um die Zeichnung auf den Staudamm zu bringen, seilen sich Industriekletterer von der Dammkrone ab und bringen Punkte auf der verschmutzten Oberfläche an. Am Boden stehen Vermessungstechniker und markieren vom Boden aus die Stellen an der Wand mit Lasern. Wenn alle Markierungen angebracht sind, arbeiten die Kletterer mit Hochdruckreinigern nach dem Prinzip "Malen nach Zahlen" das Motiv aus dem Schmutz heraus - der Schmutz besteht aus Moos, Flechten und Pilzbewuchs.
Bei seiner Arbeit lege er Wert auf ein nachhaltiges Vorgehen, erklärte Dauven: Es sei nur Wasser und kein Reinigungsmittel zum Einsatz gekommen. Der Strom sei direkt aus dem Wasserkraftwerk entnommen worden. Zwei Wochen habe die Arbeit gedauert.
Auf Dauvens Instagram-Account gibt es ein Video, das die Entstehung des Werks im Zeitraffer zeigt.
Dauvens Werke sind nicht für die Ewigkeit: Wie seine anderen Reverse Graffiti wird auch dieses durch Witterung und Bewuchs mit der Zeit verblassen. Nach zwei bis sechs Jahren sind seine Werke in der Regel verschwunden. Dem Werk in Luxemburg prophezeit er fünf Jahre.
Zeichnungen mit dem Staubsauger erstellt
Klaus Dauven wurde in Düren geboren und lebt unweit davon in Kreuzau am Nordrand der Eifel. Er studierte an Kunstakademien unter anderem in Düsseldorf. 1997 entwickelte er die Technik des Reverse Graffiti, bei der er Zeichnungen mit einem Staubsauger oder einem Hochdruckreiniger erstellt, indem er Patina entfernt.
Auslöser für diese Art der Graffiti-Kunst war ein Missgeschick: Als er den Staub einer misslungenen Kohlezeichnung vom Papier gesaugt habe, sei die Idee plötzlich da gewesen. Zu seinen größten Werken gehören Graffiti auf Staumauern in Deutschland, Frankreich, Japan und Südkorea.