Putin öffnet offenbar am Donnerstag den Gashahn - und was, wenn nicht?

Stand: 20.07.2022, 20:02 Uhr

Am Donnerstag soll die Wartung von Nordstream 1 beendet sein. Offenbar fließt dann auch wieder Gas nach Deutschland - allerdings weniger als bislang. Die EU-Kommission bereitet sich auf alle Szenarien vor. Auf was müssen wir uns einstellen?

Wird ab Donnerstag wieder russisches Gas über Nord Stream 1 nach Deutschland und Europa fließen? Erste Hinweise gibt es bereits, aber auch neuerliche Warnungen aus Moskau.

Wird ab Donnerstag wieder Gas nach Deutschland fließen?

Offenbar ja - aber möglicherweise weniger als bislang. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, twitterte am Mittwochabend, das russische Unternehmen Gazprom habe die angekündigte Gas-Liefermenge reduziert. Laut Müller würden ab Donnerstag nur etwas 530 Gigawattstunden geliefert, das wäre eine etwa 30-prozentige Auslastung. Weitere Änderungen seien aber möglich. Vor der planmäßig endenden Wartung der Pipeline war diese zu etwa 40 Prozent ausgelastet. Müller betonte aber auch, dass sich das kurz vor Lieferbeginn immer noch ändern könne.

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Was sagt Putin?

"Gazprom erfüllt seine Verpflichtungen, hat sie stets erfüllt und ist gewillt, weiterhin alle seine Verpflichtungen zu erfüllen", sagte Russland Präsident Wladimir Putin laut der russischen Agentur Interfax in der Nacht auf Mittwoch. Die Bundesregierung kommentiert Putins Äußerungen nicht.

Normalerweise werden geplante Liefermengen am Vortag bei den Netzbetreibern angemeldet. Tatsächlich liefen auch Buchungen für die Durchleitung von Gas durch die Pipeline Nordstream 1 ein, wie aus Angaben auf der Webseite des Netzwerkbetreibers Gascade hervorgeht.

Allerdings warnte Putin in der Nacht vor einem weiteren Absenken der Liefermenge. Sollte Russland eine in Kanada reparierte Turbine nicht zurückerhalten, drohe Ende Juli die Durchlasskapazität nochmals deutlich zu fallen. "Dann gibt es nur 30 Millionen Kubikmeter am Tag." Die Pipeline kann pro Tag theoretisch mehr als 167 Millionen Kubikmeter transportieren.

Die Bedeutung der Turbine ist umstritten. Jüngst hatte eine Sprecherin von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betont: "Es handelt sich um eine Ersatzturbine." Dennoch tue man alles, um Russland den "Vorwand" für eine Drosselung der Gaslieferungen zu nehmen.

Ist alles wieder gut, wenn das Gas wieder fließt?

"Die Lage ist angespannt und eine Verschlechterung der Situation kann nicht ausgeschlossen werden", schreibt die Bundesnetzagentur in ihrem aktuellen Lagebericht vom 19. Juli. Derzeit liegt der Füllstand der Gasspeicher mit 65 Prozent rund 4 Prozentpunkte unter dem Mittel der vergangenen fünf Jahre, aber immerhin höher als vor einem Jahr.

Nach dem im März beschlossenen Energiespeichergesetz sollen die Speicher bis zum 1. November zu 90 Prozent befüllt sein, dann wäre ein störungsfreier Winter möglich. Die 90 Prozent sieht die Bundesnetzagentur aber ohne zusätzliche Maßnahmen als nicht erreichbar an.

"Alternative Transportrouten wie z.B. die Yamal Pipeline oder auch die Ukraine-Route stehen zwar zur Verfügung, werden allerdings nicht genutzt, um die auf der Nord Stream 1 wegfallenden Mengen zu kompensieren", so die Bundesnetzagentur.

Und selbst wenn ab Donnerstag tatsächlich wieder Gas fließt, kann Putin jederzeit die Gaszufuhr nach Deutschland wieder stoppen. Eine Sicherheit gibt es für Deutschland und Europa schlichtweg nicht. "Wir sind in einer Gaskrise", sagte Habeck schon Ende Juni.

Und wenn gar kein Gas fließt?

Das schlimmste Szenario ist, dass allen Ankündigungen zum Trotz auch ab Donnerstag kein Gas durch die Röhre geleitet wird. Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hält eine vollständige Unterbrechung der russischen Gaslieferungen nach Europa für "ein wahrscheinliches Szenario". "Russland erpresst uns. Russland setzt Energie als Waffe ein", sagte von der Leyen am Mittwoch in Brüssel bei der Vorstellung der Vorschläge der EU-Kommission zur Gaseinsparung.

Beobachter halten dieses Szenario allerdings für eher unwahrscheinlich, denn Putin benötigt die Einnahmen aus dem Gasgeschäft und er würde mit diesem Vertragsbruch auch andere Abnehmerländer verschrecken.

Sollte aber wirklich kein Gas fließen, rechnen mehrere Institutionen wie die Bundesnetzagentur und die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft mit einer Rezession. Auch jetzt schon warnt die Bundesnetzagentur die Unternehmen und privaten Verbraucher, sich auf deutlich steigende Gaspreise einzustellen.

Das plant die EU-Kommission mit dem Gas-Notfallplan

Dass die EU-Kommission überhaupt kein Vertrauen mehr in Putin hat, zeigt der Inhalt des Gas-Notfallplans, der am Mittwoch in Brüssel vorgestellt wurde.

Generell werden private Verbraucher und Unternehmen zum Sparen aufgerufen. Der Vorschlag der Kommission sieht vor, dass die EU-Staaten ihre Gasnachfrage um 15 Prozent senken sollen. Von August bis März solle so viel Gas im Vergleich zum Schnitt der vergangenen fünf Jahre eingespart werden, teilte die EU-Kommission am Mittwoch mit.

Für den Notfall könnten die Staaten sogar zum Sparen gezwungen werden. Die Versorgung von privaten Haushalten und besonders zu schützenden Einrichtungen, etwa Krankenhäuser, müsse sichergestellt sein. Der Vorschlag soll am Dienstag bei einem Europäischen Sonder-Ministerrat besprochen werden.

Ohne Gas droht nicht nur die Gaskrise, sondern möglicherweise auch noch eine Stromkrise. Dann nämlich, wenn Gaskraftwerke nicht mehr zur Stromerzeugung genutzt werden können.