Getötete Luise aus Freudenberg: Wie spricht man mit Kindern darüber?

Stand: 16.03.2023, 15:56 Uhr

Auch viele Kinder sind von dem Gewaltverbrechen an Luise aus Freudenberg geschockt. Oft sei es sinnvoll, mit ihnen darüber zu reden, sagt Notfallseelsorger Albrecht Roebke. Er hat Tipps, wie man Kinder in ihrem Schrecken abholt.

Von Nina Magoley

Es gleicht einem Albtraum, kaum vorstellbar: Ein Kind wird von anderen Kindern getötet. Allein die Tatsache, dass die Täterinnen und ihr Opfer noch nicht einmal Teenager waren, macht das Drama um die getötete Luise aus Freudenberg so besonders verstörend.

Nicht nur Erwachsene, auch viele Kinder beschäftigt die Tat seit Tagen intensiv: In den sozialen Medien brandet das Thema auf - mit vielen unbestätigten Gerüchten, mit Verurteilungen und Fotos vom Tatort.

Eigene Gewalterlebnisse getriggert

Für Kinder ist das Ganze mindestens so verwirrend wie für Erwachsene. Viele würden sich fragen: "Kann mir das auch passieren?", sagt die Kölner Psychologin Elisabeth Raffauf. Dann sei es gut, wenn sie wüssten, "dass sie ernst genommen und nicht ausgelacht werden, und dass sie ihre Gefühle teilen können". Bei manchen würden vielleicht auch eigene Gewalterlebnisse getriggert, "das könnte da wieder hochkommen".

Gerade vor dem Hintergrund, dass auf Tiktok und anderen sozialen Medien bereits wilde Gerüchte über den Hintergrund der Tat kursieren, sei es wichtig, dass Kinder mit Menschen reden können, denen sie vertrauen. "Wir können die Kinder nicht davor beschützen, deshalb müssen wir sie begleiten bei der Einordnung", sagt Raffauf.

Wie also sprechen Eltern am besten darüber mit ihren Kindern? Pfarrer Albrecht Roebke koordiniert die evangelische Notfallseelsorge in der Region Bonn/Rhein-Sieg und begegnet dabei oft auch traumatisierten Kindern.

Nur reden, wenn das Kind Bedarf hat

Ganz wichtig, sagt Roebke: Kinder nicht proaktiv auf das Thema ansprechen, wenn sie nicht von selber damit anfangen. Denn gerade Jüngere ließen diese Nachrichten womöglich gar nicht an sich heran. Seine Erfahrung: "Kinder haben auch das Recht, ein Thema zu verdrängen – wenn es ihnen damit besser geht."

Wenn sich aber andeutet, dass sich das Kind mit der Geschichte beschäftigt, dann am besten "soft" anfangen: Vorsichtig herausfinden, was es überhaupt mitbekommen hat. Sind es nachrichtliche Informationen oder eher Gerüchte, die auf dem Schulhof kursieren? "Dann weiß ich schon mal, worauf die gerade herumkauen" - denn oft seien das ganz andere Aspekte, als Erwachsene vermuten, sagt der Seelsorger, der selber Vater ist.

Und abhängig vom Alter seien die Fragen, die aufkommen, auch sehr unterschiedlich. Fünfjährige beispielsweise müssten erst einmal verstehen, was genau die Erwachsenen an diesem Ereignis unnormal finden. Ältere machen sich eher Sorgen, ob ihnen selber so etwas auch passieren könnte.

Die wichtigsten Tipps im Gespräch mit Kindern:

  • Grundsätzlich immer wieder klarmachen: Das Ereignis ist schrecklich, so etwas passiert aber ganz, ganz selten.
  • Immer bei der Wahrheit bleiben: Details zum Beispiel zu den Messerstichen sollte man nicht erwähnen, wenn das Kind nicht explizit danach fragt, sagt Roebke. Wenn es sich aber doch Gedanken dazu macht, dann offen sagen, was man weiß. "In diesem Fall werden wir wahrscheinlich wenig Details je erfahren – dann sollte man auch das so kommunizieren." Sonst gehe beim Kind das Kopfkino los. Am besten erklären: "Es weiß keiner genau, was passiert ist." Damit könnten Kinder besser umgehen.
  • Zugeben, dass man das Geschehen selber nicht versteht, dass man fassungslos ist. Dass man auch nicht weiß, wie Kinder so etwas tun können. "Das erlaubt Kindern ihre eigene Fassungslosigkeit."

Angst vor den Täterinnen besprechen

In den Sozialen Medien werden die beiden Täterinnen gerade teils wie Monster beschrieben. Auch das kann Kinder verängstigen. Dann gelte es, in direktem Bezug zu den beiden Mädchen klarzustellen:

  • Die zwei sind jetzt nicht mehr gefährlich, sie laufen nicht frei herum. Sie werden zwar nicht von einem Gericht bestraft, aber dennoch verurteilt.

Davon abgesehen, ist Roebke überzeugt, seien viele Kinder gar nicht so entsetzt darüber, dass Kinder töten können, wie Erwachsene. "Die wissen vom Schulhof ganz gut, dass andere Kinder böse sein können."

Die Angst der Erwachsenen

Viele Eltern sind nun auch mit ihrer eigenen Angst konfrontiert. Der Impuls, das eigene Kind jetzt zur Schule zu fahren oder abzuholen, die Bitte, sich zwischendurch zu melden – alles sehr verständlich, sagt Roebke, dennoch könne das für Kinder verunsichernd sein.

Eltern sollten ihre Kinder möglichst nicht mit den eigenen Ängsten "überrollen", sagt auch Psychologin Raffauf. "Kinder dürfen wissen, dass Erwachsene auch schockiert sind, aber sie dürfen dadurch nicht noch mehr Angst kriegen."

Seelsorger Albrecht Roebke plädiert auch hier für größtmögliche Offenheit:

  • Dem Kind klar sagen: "Das ist im Moment meine Angst, die kann ich nicht verstecken. Aber Du musst diese Angst nicht haben." Dann mit dem Kind verabreden, dass dieser Zustand der zusätzlichen Kontrolle zeitlich begrenzt sein soll – auf zwei, drei Wochen -, bis man dieses eigene Bedürfnis überwunden habe.

Im Übrigen rät der Seelsorger, möglichst schnell wieder Normalität in den Alltag einkehren zu lassen: Die Kinder wieder zum Sport gehen lassen, zum Klavierunterricht, zu Freunden - und damit die Angst überwinden. "Zeigen: Wir machen jetzt ganz normal weiter." Das dürfe sich "anfangs komisch anfühlen", sagt Roebke, "aber es hilft der Seele, langsam wieder zu vertrauen".