Mit einer Großrazzia geht die Polizei seit Mittwochmorgen unter anderem gegen Mitglieder des Al-Zein-Clans vor. Mehr als 50 Beschuldigten wird unter anderem die Unterschlagung zahlreicher Autos sowie Betrug mit Corona-Hilfen vorgeworfen. Die Polizei will zahlreiche Haftbefehle vollstrecken. Schwerpunkt der Razzia ist Nordrhein-Westfalen: zum Beispiel Dortmund, Solingen und Bochum. Aber auch in anderen Bundesländern wie Berlin sind Beamte unterwegs.
Auch wenn bei der aktuellen Razzia Clan-Angehörige wohl nur eine Nebenrolle spielen: Al-Zein ist ein Name, der im Zusammenhang mit Ermittlungen im kriminellen Milieu immer wieder fällt. Aktuell stehen einige Angehörige der Großfamilie mit türkisch-libanesischen Wurzeln in Düsseldorf vor Gericht. Ihnen wird vorgeworfen, ihre Villa in Leverkusen mit Geldern vom Jobcenter finanziert zu haben.
Welche Straftaten werden Clans vorgeworfen? Wie viele Großfamilien fallen durch Verbindungen zur Organisierten Kriminalität auf? Und wie geht die Polizei gegen solche Strukturen vor? Fragen und Antworten.
Was genau versteht man unter "Clankriminalität"?
Der Begriff ist relativ klar definiert - zumindest im Bereich der Strafverfolgung. Das Landeskriminalamt (LKA) bezeichnet damit jene Kriminalität, die sich "aus ethnisch abgeschotteten Subkulturen" entwickelt hat. Gemeint sind damit türkisch-arabischstämmige Großfamilien, deren Mitglieder immer wieder durch schwere Straftaten auffallen. Der Begriff ist ausschließlich für Familienverbände reserviert, die einen Bezug zum Libanon oder zur anatolisch-kurdischen Bevölkerungssgruppe der Mhallamye haben. Italienische Großfamilien werden also nicht als "Clan" bezeichnet, auch wenn sie sich in ähnlichen kriminellen Strukturen bewegen.
Diese Definition wird auch kritisch gesehen: Der Begriff stelle eine direkte Verbindung zwischen ethnischer Herkunft und krimineller Energie her, meint zum Beispiel die Medienwissenschaftlerin Karoline Reinhardt von der Uni Tübingen. Dabei handele es sich in der Regel um Organisierte Kriminalität aus einem Familienverbund heraus - das Phänomen sei aber nicht auf ein türkisch-arabisches Milieu beschränkt.
Wie viele Clans sind in NRW aktiv?
Insgesamt beobachtete die Polizei im vergangenen Jahr 113 Clans in NRW, die der Clan-LKA-Definition entsprechen. Rund zehn dieser Großfamilien fallen nach dem aktuellen LKA-Lagebild zur Clankriminalität besonders häufig durch Straftaten auf, darunter auch der Al-Zein-Clan, der am Mittwoch im Fokus der Razzia steht. Überdurchschnittlich häufig geht es bei Ermittlungsverfahren gegen Clanmitglieder um Drogenhandel und Geldwäsche im großen Stil. Aber auch Gewaltverbrechen kommen im Milieu häufig vor - zum Beispiel, um kriminelle Einflusssphären gegen unliebsame Konkurrenz zu verteidigen.
Allerdings sind die türkisch-arabischen Großfamilien oft weit verzweigt und haben teilweise mehrere Tausend Angehörige. Der Großteil der Familienmitglieder hat nichts mit kriminellen Aktivitäten zu tun, sie werden aber wegen des gemeinsamen Nachnamens oft stigmatisiert.
Um welche Straftaten geht es?
Im Jahr 2021 zählte das LKA in NRW insgesamt 5.460 Straftaten mit Clanbezug - ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt wurden 49 Haftbefehle gegen Clanmitglieder erwirkt und zehn Millionen Euro beschlagnahmt. Die Clans sind demnach vor allem im Ruhrgebiet aktiv: Die meisten Straftaten seien 2021 in Essen verzeichnet worden, gefolgt von Recklinghausen, Gelsenkirchen, Duisburg und Bochum.
Der Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der organisierten Drogenkriminalität, Vermögens- und Fälschungsdelikten. Aber auch Raub, Bedrohung, Körperverletzungen und Sexualstraftaten kommen immer wieder vor. Seit 2018 geht die NRW-Polizei verstärkt gegen Clanstrukturen vor. Mit häufigen Razzien in Gaststätten, die als legale Fassade für kriminelle Geschäfte genutzt werden, wollen die Ermittler den Ermittlungsdruck konstant erhöhen.
Den Clans ihre wirtschaftliche Grundlage entziehen - das ist auch das Ziel einer Spezialeinheit des Justizministeriums, die erst Ende 2021 ihre Arbeit aufgenommen hat. Die "Confiscation Group" besteht aus vier Staatsanwälten und einem abgeordneten Richter des Landgerichts Bonn. Sie hat die Aufgabe, die Gewinne aus kriminellen Aktivitäten einzuziehen - auch dann, wenn Clan-Mitglieder ihr Vermögen auf andere Familienangehörige übertragen haben.
Wie haben sich die Clans gebildet?
Die heute aktiven Familienclans wurden von Angehörigen der Mhallamiye-Volksgruppe begründet, die in den 1970er- und 80er-Jahren vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland geflohen sind. Sie wurden in der Regel nicht als Asylbewerber anerkannt, erhielten als Staatenlose aber eine Duldung und durften im Land bleiben.
Selbstständige Arbeit war ihnen allerdings untersagt, auch auf dem normalen Arbeitsmarkt hatten sie wenig Chancen. Oft mussten mehrere Generationen von Sozialleistungen leben. Sozialwissenschaftler gehen davon aus, dass sich auch aus dieser Perspektivlosigkeit heraus kriminelle Netzwerke gebildet haben.
Über dieses Thema berichten wir auch am Mittwoch, ab 18.45 Uhr in der "Aktuellen Stunde" im WDR-Fernsehen.