Landwirt:innen blockieren und drohen: Ist dieser Protest legitim?
Aktuelle Stunde. 19.12.2023. 45:00 Min.. UT. Verfügbar bis 19.12.2025. WDR. Von Julius Hilfenhaus.
Autobahnen blockiert: Drohen Landwirten dieselben Strafen wie Klimaaktivisten?
Stand: 19.12.2023, 19:55 Uhr
Landwirte haben am Montag auf mehreren Autobahnen in NRW mit ihren Traktoren den Verkehr blockiert. Es gab lange Staus - ähnlich wie bei den Klimaaktvisten. Dennoch gebe es einen entscheidenden Unterschied, sagen Juristen.
Von Nina Magoley und Christina Höwelhans
Bis zu zwei Stunden Verspätung mussten Autofahrer am Montag auf Autobahnen NRWs in Kauf nehmen: Protestierende Landwirte hatten mitten im Feierabendverkehr mit ihren Traktoren Fahrbahnen und Zufahrten blockiert und so für erhebliche Staus gesorgt. Vor allem die Autobahnen am Niederrhein waren von den Aktionen betroffen. Die größte gab es auf der A57 Richtung Köln: Dort stauten 76 Traktoren den Verkehr. Auch auf der A40 und der A61 blockierten Bauern teils beide Fahrstreifen.
Nach Angaben der Polizei wurden meist die Personalien der Landwirte aufgenommen. An der A560 bei Hennef, wo etwa 70 Traktoren den Verkehr gestoppt hatten, erstatteten die Beamten Anzeige gegen Unbekannt. Laut Nachrichtenagenturen wird auch wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ermittelt.
Klimaaktivisten: Gefängnisaufenthalte für Straßenblockaden
Vergleicht man die Auswirkungen, dann haben die Aktionen der Landwirte Ähnlichkeit mit den Straßenblockaden der Klimaaktivisten. Wenn sich Vertreter der "Letzten Generation" auf Fahrbahnen kleben, sorgen sie damit ebenfalls für Staus und Verkehrschaos - und kassieren dafür mittlerweile harte Geldstrafen oder sogar Tage im Gefängnis.
Inhaltlich unterscheiden sich die Proteste: Die sogenannten "Klimakleber" fordern mit ihren Aktionen mehr politisches Handeln und Verantwortung bei der Rettung des Klimas. Die Landwirte protestieren dagegen, dass ihnen staatliche Subventionen gestrichen werden sollen.
Strafen für Straßenblockaden?
Vergleichbar seien die Aktionen insofern, als dass man sie juristisch beide als "strafbare Nötigung" betrachten könne, sagt der Kölner Strafrechtsexperte Christian Kemperdick. "Ob gegen die Bauern strafrechtlich ermittelt wird, dürfte aber auch politisch davon abhängen, wie lange und wie häufig es zu beabsichtigten Staus kommt." Sollten sich solche stauverursachenden Blockaden in Zukunft wiederholen, gehe er davon aus, "dass die Staatsanwaltschaften auf Weisung des Justizministeriums Strafverfahren einleiten würden".
Eine Frage der Häufigkeit?
Das Blockieren gelte grundsätzlich als Nötigung, weil Menschen davon abgehalten würden, ihren Weg fortzusetzen, sagt auch Verkehrsrechtexperte Rainer Pohlen aus Mönchengladbach. Er gehe aber davon aus, dass kurze Blockaden, die niemanden in Gefahr bringen, vor Gericht Bestand hätten.
Pauschal lässt sich das offensichtlich nicht beantworten. Eine rechtliche Bewertung hänge vom Einzelfall ab, meint Pohlen - und davon, "wie konkret so eine Blockade aufgebaut ist, wie lange sie dauert, inwieweit andere Verkehrsteilnehmer Ausweichmöglichkeiten haben"."
"Tradition des Ungehorsams"
Lisa Bogerts, Protesforscherin
Eine andere Frage ist die nach der Akzeptanz solcher Aktionen. "Die Form der Proteste ist ähnlich", stellt Lisa Bogerts vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin fest. Kleber wie Bauern beriefen sich auf die "Tradition des Ungehorsams", indem sie die Blockaden nicht ankündigten und damit gezielt das Risiko einer Strafverfolgung in Kauf nähmen: "Bewusst stören und radikal sein, um auf die Dringlichkeit des Anliegens aufmerksam zu machen."
Bisher schienen die Proteste der Landwirte allerdings noch auf mehr Akzeptanz in der Bevölkerung zu stoßen. Das liege aber auch daran, dass die Blockaden der Bauern bislang noch nicht so häufig vorgekommen sind und noch nicht so oft in den Alltag der Menschen eingegriffen hätten. "Das kann sich natürlich ändern, wenn diese Protestform jetzt inflationär gebraucht wird von dieser Gruppe."
Medienberichte entscheiden über Wirkung
Bei der allgemeinen Bewertung und Beurteilung solcher Aktionen spielten auch die Medien eine große Rolle, sagt Bogerts. Der Trend in der medialen Berichterstattung gehe offensichtlich dahin, dass die Form des Protests mehr Aufmerksamkeit erhalte als der Inhalt.
Abwägung mit Grundrecht auf Versammlungsfreiheit
Verkehrsrechtler Pohlen weist auch darauf hin, dass die Landwirte sich grundsätzlich auf ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit berufen können - auch wenn es da wiederum Einschränkungen gebe: "Versammlungen müssen grundsätzlich 48 Stunden vorher angemeldet werden, wenn das Ganze nicht als sogenannte Spontanversammlung angesehen wird. Dann bedarf es keiner Anmeldung."
Zu den Aktionen der "Letzten Generation" sieht Pohlen einen entscheidenden Unterschied, was die gerichtliche Beurteilung betrifft: "Die Klimakleber nehmen sich, indem sie sich auf der Straße festkleben, selbst die Möglichkeit, gegebenenfalls schnell die Straße frei zu machen." Die Aktivisten müssten erst aufwendig gelöst werden. Das habe eine andere Qualität als die Blockaden durch die Landwirte.
Unsere Quellen:
- WDR-Interview mit Rechtsanwalt Christian Kemperdick
- WDR-Interview mit Rechtsanwalt Rainer Pohlen
- WDR-Interview mit Protestforscherin Lisa Bogerts
- WDR-Anfragen bei der Polizei
- Informationen des WDR-Verkehrsstudios
- Nachrichtenagentur dpa