Wahlzettel des "Referendums"

Ukraine: Darum sind die Scheinreferenden illegal

Stand: 23.09.2022, 08:29 Uhr

In vier Regionen der Ukraine soll über einen möglichen Beitritt zur Russischen Föderation abgestimmt werden. Warum diese "Referenden" illegal sind.

Von Oliver Scheel

Die Ukraine hat in den vergangenen Wochen große Geländegewinne im Osten des Landes erzielt. Nun haben Separatistenführer und von Moskau eingesetzte Statthalter hastige "Referenden" über den Anschluss von vier ukrainischen Gebieten an Russland angekündigt. Seit Freitag wird in den Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja darüber abgestimmt, ob diese Territorien an Russland angegliedert werden.

Aus dem Rest der Welt hagelt es Kritik. Warum sind die geplanten Abstimmungen illegal und was bezweckt Russlands Präsident Wladimir Putin damit?

Keine juristische Grundlage

"Die sogenannten Referenden sind rechtswidrig. Sie verstoßen gegen das Völkerrecht und gegen ukrainisches Recht", sagt WDR-Rechtsexperte Philip Raillon am Freitag. Die Verfassung der Ukraine spricht eine deutliche Sprache: Laut Artikel 73 wird die "Frage der Änderung des Territoriums der Ukraine ausschließlich durch ein gesamtukrainisches Referendum gelöst."

Nach der Charta der Vereinten Nationen dürfe jedes Volk selbst über sein Schicksal entscheiden, so Raillon. Aber das gehe nur in "absoluten Ausnahmefällen", die in der Ukraine nicht vorlägen. Unter anderem sei eine freie und geheime Wahl gar nicht möglich, "wenn parallel ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg herrscht".

Völkerrechtsexperte Prof. Stefan Talmon von der Universität Bonn bekräftigt dies: "Ein Referendum darf nur von der Ukraine, d.h. der ukrainischen Regierung, durchgeführt werden." Damit ist klar: Die vier separatistischen Regionen dürfen überhaupt nicht selbstständig über einen möglichen Anschluss an Russland abstimmen lassen.

Warum dieses Manöver?

Russland gehe es darum, "einen Schein der Legalität zu erzeugen. Eine völkerrechtswidrige Landnahme soll durch den angeblichen Willen der Bevölkerung legitimiert werden", analysiert Talmon für den WDR.

Stefan Talmon

Völkerrechtsexperte Professor Stefan Talmon von der Uni Bonn.

Die "Referenden" seien zudem völkerrechtswidrig, weil der russische Angriff auf die Ukraine völkerrechtswidrig ist. "Alle sich aus diesem völkerrechtswidrigen Aggressionsakt ergebenden weiteren Akte sind deshalb ebenfalls völkerrechtswidrig und dürfen von anderen Staaten nicht anerkannt werden", erklärt es der Völkerrechtsexperte.

Beobachter befürchten nun eine Eskalation des Krieges. Sollten die "Referenden" ein deutliches Ergebnis für den Anschluss an Russland bringen, würden die ukrainischen Angriffe dort als Attacke auf russisches Territorium angesehen werden können. Das könnte in einen "vollwertigen Krieg zwischen der Ukraine und der NATO und Russland" münden, "in dem Russland nicht mehr die Hände gebunden sind", wie es die Chefredakteurin des russischen Fernsehsenders RT, Margarita Simonjan, formulierte.

Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew äußert sich in ähnlicher Weise: "Das Eindringen in russisches Territorium ist ein Verbrechen, das es erlaubt, alle Kräfte der Selbstverteidigung einzusetzen."

Erinnerungen an Krim-Referendum 2014

"Die nachträgliche Scheinlegitimierung rechtswidriger Landnahmen gab es in der Geschichte immer wieder, zuletzt am 16. März 2014, als Russland ein "Referendum" auf der rechtswidrig besetzten ukrainischen Halbinsel Krim abhielt und über den Beitritt der Krim zu Russland abstimmen ließ", so Talmon.

Damals konnten die Bürger aber nur wählen, ob es einen Beitritt zur Russischen Föderation geben solle oder ob der Status von 1992 wieder hergestellt werden solle. Für einen Verbleib bei der Ukraine konnte also gar nicht gestimmt werden. Daher bezeichnete die UN-Vollversammlung das "Referendum" als ungültig. Die Venedig-Kommission (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht) stellte auch damals schon fest, dass das Referendum im Widerspruch zur ukrainischen Verfassung stand.

Nato-Staaten sprechen geplanten "Referenden" jede Gültigkeit ab

WDR-Experte Raillon betont, es gäbe keine Möglichkeit, "dass diese Pseudo-Referenden legal und rechtmäßig sind". Einziger Haken: Russland schenkt gerade weder dem Völkerrecht noch der ukrainischen Verfassung Beachtung. "Was mit den Menschen in der Ostukraine daher ganz real passieren wird – steht erstmal auf einem anderen Blatt", so Raillon.

Westliche Beobachter sind sich einig: Mit freier Meinungsbildung oder Wahlen hat das Ganze nichts zu tun. Läuft alles wie von Moskau geplant, steht das "Ergebnis" fest, und Russland kann die besetzten Gebiete um Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson zu eigenem Staatsgebiet erklären. Die 30 Nato-Staaten haben den geplanten "Referenden" jede Gültigkeit abgesprochen und die Pläne aufs Schärfste verurteilt.

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