Frankreich: Freiheit der Abtreibung in Verfassung
Aktuelle Stunde . 05.03.2024. UT. Verfügbar bis 05.03.2026. WDR. Von Andrea Moos.
Vorbild für Deutschland? - Frankreich verankert Recht auf Abtreibung in Verfassung
Stand: 04.03.2024, 20:45 Uhr
Als erstes Land weltweit schreibt Frankreich das Recht auf Abtreibung in seine Verfassung. Bereits seit 1975 sind in Frankreich Abtreibungen legal. Ein Vorbild auch für Deutschland? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Von Catharina Coblenz
Mehr als eineinhalb Jahre hat die politische Diskussion gedauert. Am Montag haben dann die Abgeordneten und Senatoren in einer Sondersitzung entschieden, die "garantierte Freiheit" zum Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung zu verankern - mit einer riesigen Mehrheit von 780 gegen 72 Stimmen.
Was bedeutet die Aufnahme der "garantierten Freiheit" zur Abtreibung in die Verfassung?
Frankreich ist weltweit das erste Land, dass die "garantierte Freiheit" zum Schwangerschaftsabbruch ausdrücklich in der Verfassung verankert. Das Vorhaben, gilt jedoch vor allem als symbolische Geste, da es von keiner Partei in Frankreich in Frage gestellt wird - nicht einmal von der rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN).
Die "garantierte Freiheit" zum Schwangerschaftsabbruch wird so zu einem Grundrecht. Und damit wird es schwieriger, an diesem Recht etwas zu verändern - unabhängig davon wie die politischen Mehrheiten gerade aussehen.
Was unterscheidet die "garantierte Freiheit" vom "Recht"?
In dem Verfassungsartikel 34 wird die "garantierte Freiheit der Frauen, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen" festgeschrieben. Damit hat sich die Formulierung seit Oktober letzten Jahres leicht gewandelt - von "Recht auf" zu "Freiheit zu". Die Formulierung "Freiheit zur" ist dabei rechtlich schwächer als das "Recht auf", das zunächst debattiert worden war.
Welche Hintergründe haben zu der Abstimmung in Frankreich geführt?
Auslöser für die Abstimmung war letztendlich eine folgenschwere Entscheidung des Supreme Court, dem obersten Gerichtshof in den USA. Im Sommer 2022 kippte dieser das Urteil "Roe v. Wade" von 1973. Die Folge: Seitdem dürfen die einzelnen Bundesstaaten das Recht auf Abtreibung erheblich einschränken.
In Frankreich kam es daraufhin zu heftigen öffentlichen Debatten, die letztendlich einen politischen Prozess in Gang gesetzt haben.
Wie unterscheidet sich die rechtliche Lage in Frankreich von der in Deutschland?
Die rechtliche Ausgangslage ist in Frankreich eine ganz andere als in Deutschland. In Frankreich sind Abtreibungen bis zur 14. Schwangerschaftswoche seit 1975 legal. In Deutschland stellt ein Schwangerschaftsabbruch für alle Beteiligten eine Straftat dar. Diese Straftat ist jedoch, laut dem Bundesministerium der Justiz, unter bestimmten Voraussetzungen "straffrei möglich oder gerechtfertigt".
Auf einer solchen rechtlichen Grundlage ist eine Aufnahme von Schwangerschaftsabbrüchen in die Verfassung in Deutschland nicht denkbar. Im WDR Hörfunk sagt Stephanie Schlitt, stellvertretende Vorsitzende des pro familia Bundesverbandes, dass das Gesetz bei uns darauf abzielt "den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch zu verbieten und nur in Ausnahmen zuzulassen, und das, obwohl klar ist, dass die Strafandrohung keine Auswirkung auf die Häufigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen hat."
Kann die Entscheidung in Frankreich ein Vorbild für Deutschland sein?
Auch wenn die rechtliche Lage es nicht zulässt, dass die Abstimmung in Frankreich ein direktes Vorbild für Deutschland ist, so könnte sie dennoch auch in Deutschland eine neue Debatte anstoßen.
Noch symbolischer als die heutige Abstimmung, ist die gesellschaftliche Entwicklung in Frankreich, die durch sie wiedergespiegelt wird. "Mehr als 86 Prozent der Französinnen und Franzosen waren dafür das Recht auf Abtreibung in der Verfassung festzuschreiben." sagt Mélanie Vogel gegenüber dem WDR Hörfunk. Sie sitzt für die französischen Grünen im Senat und hat sich für die Verfassungsänderung eingesetzt. Laut Mélanie Vogel ist die Gesellschaft "also der Meinung, dass es den gleichen Stellenwert haben sollte, wie andere Grundrechte und Freiheiten, die schon von der Verfassung geschützt sind."
Stephanie Schlitt von Pro Familia meint, dass man in Deutschland auch sehen muss, "dass die Gesellschaft sich sehr verändert hat". Es gäbe "wirklich eine breite Mehrheit der Gesellschaft, die dafür ist, den Schwangerschaftsabbruch außerstrafrechtlich zu regeln". Was es bräuchte, wäre ein neues Gesetz - "ein Gesetz, auf das wir so stolz sein können, wie Frankreich das auf seine Verfassungsänderung sein wird!"
Unsere Quellen:
- Bundesministerium der Justiz
- Mélanie Vogel, Greens/EFA, gegenüber dem WDR Hörfunk
- Stephanie Schlitt von Pro Familia gegenüber dem WDR Hörfunk
- Nachrichtenagentur DPA
- Nachrichtenagentur AFP
- Nachrichtenagentur KNA