Buchcover: "Nightbitch" von Rachel Yoder

"Nightbitch" von Rachel Yoder

Stand: 04.12.2023, 12:00 Uhr

Eine Frau verwandelt sich nach der Geburt ihres Sohnes in einen Hund und reflektiert performativ Mutterschaft. Rachel Yoders atemberaubender Debütroman ist ein monströser Befreiungsschlag – auch für Kinderlose. Eine Rezension von Corinne Orlowski.

Rachel Yoder: Nightbitch
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné.
Klett-Cotta, 2023.
304 Seiten, 24 Euro.

"Nightbitch" von Rachel Yoder

Lesestoff – neue Bücher 04.12.2023 05:54 Min. Verfügbar bis 03.12.2024 WDR Online Von Corinne Orlowski


Download

Dieses Buch will man verschlingen, man will die Seiten zerknüllen und sich in den Mund stopfen. Man will sich nach der Lektüre die Kleider vom Leib reißen und den Mond anheulen. Will ein Monster werden.

Die US-amerikanische Autorin Rachel Yoder erzählt in ihrem Debütroman, wie sich eine Frau, eine junge Mutter, der totalen Enthemmung hingibt und dadurch eine Menge gewinnt: Selbstermächtigung, Spaß und Zuversicht.

Alles beginnt damit, dass sich die namenlose Protagonistin scherzhaft den Namen 'Nightbitch' gibt. Denn nachts, wenn das Kind sie wecke, werde sie immer so wütend.

"In den Tagen nach der Namensfindung ertastete sie in ihrem Nacken ein winziges Büschel schwarzer Haare und dachte: Was zur Hölle? Ich glaube, ich bin dabei, mich in einen Hund zu verwandeln."

Hinzu kommt der Drang, ihren Sohn abzuschlecken, die Eckzähne werden spitzer und was ist das für eine gerötete Beule da am Steißbein? Wächst ihr da etwa ein Schwanz?

"Sie meinte, oben auf der Erhebung ein Haar zu erkennen, und beschloss, es mit der Pinzette zu entfernen, in der Hoffnung, den Schmerz zu lindern. Eine Zeitlang zupfte sie blindlings an sich herum, was aber den Schmerz nur verschlimmerte, und zum Schluss fing die Beule auch noch zu nässen an. Scheiß drauf, sagte sie."

Die Mutter, wie sie nur genannt wird, gibt sich der Verwandlung hin, so müde, ausgelaugt und überfordert ist sie. Rachel Yoder beschreibt diese Metamorphose dabei nicht übertrieben fantastisch, sondern als reale Möglichkeit. In diesem Dazwischen entsteht eine Spannung.

Ihre Protagonistin ist Konzeptkünstlerin, leitet eine Galerie. Mit ihrem Mann ist sie glücklich. Und weil er mehr Geld verdient als sie, scheint es nur vernünftig, dass sie nach der Geburt des Sohnes zuhause bleibt. Der Beginn einer großen Frustration und Verbitterung.

"Es war jeden Morgen das Gleiche. Nach dem Frühstück mit der Eisenbahn spielen, ein Buch über Züge lesen, dasselbe Buch noch einmal lesen, danach ist aber wirklich Schluss, okay, einmal noch, dann ein Spaziergang ans Ende der Straße. Ungeduldig werden. Schreiend in den Schotter treten. Sich beruhigen. War es langweilig? Ja, war es, und sie wünschte sich, dass jemand, irgendwer, diese Monotonie verstand, diese den Verstand lähmende Routine."

Auch Rachel Yoder hatte nach der Geburt ihres Sohnes mit dem Gefühl der Isolation zu kämpfen. Sie gab ihren Traumjob auf, um bei ihrem Kind zu sein, und wurde wütend. "Nightbitch" ist der Versuch, die Wut in Worte zu fassen. Und das gelingt Yoder grandios, mit viel Witz und schwarzem Humor. Die ungezähmte Nightbitch knurrt und bellt. Ihr Sohn spielt das Hündchen-Spiel mit. Er will an der Leine gehen, gemeinsam kaufen sie fünf Kilo rotes Fleisch oder jagen Katzen. Der Alltag wird leichter.

"Eine neue Energie erfüllte ihren Körper. Sie liebte es, ein Körper zu sein, und den Jungen liebte sie ebenfalls, auch er war ein Körper, einer, den sie hervorgebracht hatte."

"Nightbitch" spricht vermutlich vielen jungen Müttern aus der Seele. Aber auch kinderlose Frauen können von diesem kühnen Text viel lernen: Raus aus der Scham! Es ist egal, was die anderen über einen denken. Je mehr sie den Hund in sich zulässt, desto besser kann sie sich mit dem Muttersein abfinden – und zugleich wieder Künstlerin sein.

Nur lässt die Nightbitch irgendwann das Spielerische hinter sich und bekommt etwas Monströses. Spätestens, als sie ihre Katze brutal tötet und das Hundespiel eine Performance wird, so wie man es von Marina Abramović kennt, die für die Kunst ihren Körper extremsten Situationen aussetzt.

"Meine Performance möchte die Mutterschaft in all ihrer ursprünglichen Grausamkeit, Mächtigkeit und Finsternis darstellen, denn in der Moderne wurde sie neutralisiert und sterilisiert. Weiblichkeit und Mutterschaft sind vielleicht die stärksten Kräfte in einer menschlichen Gemeinschaft."

"Nightbitch" ist ein atemberaubender Roman darüber, eine wilde, komplizierte Frau zu sein. Das liegt auch an der brillanten Übersetzung von Eva Bonné. Der Text provoziert beim Lesen regelrecht körperliche Reaktionen.

"Nightbitch" ist einer von vielen aktuellen Titeln von und über wehrhafte Frauen. Sie alle beweisen: weibliche Wut hat auch eine produktive Kraft. Und das zeigt Rachel Yoder auf sehr furchtlose Weise. "Nightbitch" ist eine bellende Rebellion; dieser Roman wird Sie nicht kalt lassen.