Hörbuchcover: "Mann vom Meer. Thomas Mann und die Liebe seines Lebens" von Volker Weidermann

"Mann vom Meer" von Volker Weidermann

Stand: 14.06.2023, 12:00 Uhr

Eine Hörbuchlesung wie eine Reise durch Leben und Werk von Thomas Mann – getragen vom Wind der Weltereignisse, geführt von einem kompetenten Reiseleiter an die prägenden Meere eines der bedeutendsten Erzähler der Deutschen. Eine Rezension von Corinne Orlowski.

Volker Weidermann: Mann vom Meer. Thomas Mann und die Liebe seines Lebens (Hörbuch)
Ungekürzte Lesung mit Hanns Zischler.
Der Audio Verlag, 2023.
6 Stunden 26 Minuten, 23 Euro.

"Mann vom Meer. Thomas Mann und die Liebe seines Lebens" von Volker Weidermann

Lesestoff – neue Bücher 15.06.2023 05:42 Min. Verfügbar bis 14.06.2024 WDR Online Von Corinne Orlowski


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Ein Mann im karierten Bademantel steht lässig am Strand, brennende Zigarette im Mund, die Arme verschränkt. Selbstgewiss schaut er in die Ferne. Thomas Mann ist 53 Jahre alt, in einem Jahr wird er den Nobelpreis bekommen. Es ist vielleicht das einzige Bild, das ihn nicht gepanzert zeigt. Nur am Meer scheinen sich die Fesseln zu lösen, die sich im Alltag um ihn schlingen.

"Nicht im Bild: die Liebe dieses Sommers. Klaus Heuser, 17 Jahre alt, aus Düsseldorf. ‚Mit Stolz und Dankbarkeit‘, schreibt er später, bewahre er die Erinnerungen an diesen Inselsommer, ‚die unverhoffte Erfüllung einer Lebenssehnsucht‘, einfach Glück."

Das Meer – und die Männer. Das scheinen die Parameter in Thomas Manns Leben zu sein, die sich wie keine anderen in sein Werk einschreiben. In Volker Weidermanns biografischer Erzählung wird deutlich: Mann hat meist sich selbst in seine Texte getragen und insbesondere seine Meererlebnisse den Figuren mitgegeben. So wird das Meer zum stillen Helden seiner Bücher und für Weidermann zum Aufhänger, um durch sein Leben zu führen.

"'Das Meer', so hat es Thomas Mann selbst einmal beschrieben, ‚sein Rhythmus, seine musikalische Transzendenz ist auf irgendeine Weise überall in meinen Büchern gegenwärtig, auch dann, wenn nicht, was oft genug der Fall, ausdrücklich davon die Rede ist."

Weidermann spürt dem in "Mann vom Meer" nach. Und tatsächlich scheint es, das Meer könnte so etwas wie das verbindende Glied zwischen den Figuren sein. Es sind meist solche, die sich selbst verleugnen und deshalb in den Abgrund stürzen – ins Meer sozusagen, als Symbol für Tiefe, für Weite, für Freiheit auch und das Traumhafte: vom kleinen Friedemann, über Tony und Hanno Buddenbrook, Tonio Kröger und Gustav von Aschenbach, bis hin zu Mario und Hans Castorp. Hier, auf dem Zauberberg in Davos, spielt wohl eines der berühmtesten Meereskapitel Manns. Es heißt "Schnee".

"'Jedoch liebte Hans Castorp das Leben im Schnee. Er fand es demjenigen am Meeresstrande in mehrfacher Hinsicht verwandt.' Thomas Mann gibt mit diesem Kapitel seinem ganzen Werk eine grundsätzliche Wende, von der es kein Zurück mehr geben wird. Der Todessympathisant wird Verantwortungsdichter."

Denn die politischen Winde zerren auch an Thomas Mann. Vom deutsch-nationalen Dichter, der den Krieg befürwortet, wird er zum „demokratiefreundlichen Zivilsationsliteraten“. Weidermann erzählt das alles recht nüchtern. Die Zurückhaltung irritiert zuweilen, denn Weidermann wirkt wie ein zugewandter Reiseleiter, der ein Wir auf einer unterhaltsamen Studienreise an die prägenden Strände Thomas Manns führt und darauf aufmerksam macht, wie sich Lebens- und Liebesereignisse ins Werk einschreiben. Dafür lässt er Mann auch gern selbst sprechen.

"Während ich schreibe, rauscht das Meer zu mir herauf, und ich schließe die Augen. Ich schaue in eine ungeborene und schemenhafte Welt hinein, die geordnet und gebildet sein will, ich sehe in ein Gewimmel von Schatten menschlicher Gestalten, die mir winken, daß ich sie banne und erlöse: tragische und lächerliche und solche, die beides zugleich sind, – und diesen bin ich sehr zugethan."

Weidermann versucht Thomas Manns Gedanken zu erspüren, was ein kühnes Unterfangen ist, man ihm aber abkauft, weil er mit Klarheit und Wärme erzählt. So kommt man einem der bedeutendsten deutschen Schriftsteller nahe, ohne dass es akademisch wird. Das ist auch der Lesung von Hanns Zischler zu verdanken – er selbst Autor mit Ehrendoktorwürde. Manchmal schnurrt er wie ein Märchenonkel. Und doch gibt er Thomas Mann und seinen Figuren immer wieder auch die nötige Tiefe.

"Wer ihn kennen will, wer ihm nahe kommen will, so nahe wie möglich, der solle Tonio Kröger lesen, hat der Autor in späten Jahren oft betont. Denn dieser Tonio, das war er selbst."

Nur fragt man sich zwischendurch, warum ein Mann vom Meer? Eher sind es die Manns vom Meer. Neben seiner Mutter Julia, die 1851 am Urstrand von Paraty in Brasilien zur Welt kommt, erstreckt sich Weidermanns Erzählung bis zur Lieblingstocher Elisabeth, die 2002 starb.

Wahrscheinlich müssen deshalb manche Kapitel auch schon mal ganz ohne Meer auskommen. Trotzdem wird deutlich: Nur für Thomas ist die Liebe zum Meer nichts anderes als die zum Tod, der Widerstand gegen den Sog in die Tiefe seine Lebensaufgabe. So gelangt das Meer vor allem als eine Todeslandschaft in sein Werk, steht in Wirklichkeit aber auch für plötzliches Glück.