Buchcover: "Ton für die Götter" von Anuradha Roy

"Ton für die Götter" von Anuradha Roy

Stand: 19.06.2023, 12:00 Uhr

Von Liebe und Verlust, der Kunst des Töpferns und dem Fanatismus religiöser Eiferer und von einem sanften Hund erzählt Anuradha Roy in ihre Roman: "Ton für die Götter". Eine Rezension von Simone Hamm.

Anuradha Roy: Ton für die Götter
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Luchterhand Verlag, 2023.
283 Seiten, 22 Euro.

"Ton für die Götter" von Anuradha Roy

Lesestoff – neue Bücher 19.06.2023 05:36 Min. Verfügbar bis 18.06.2024 WDR Online Von Simone Hamm


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Ein undenkbares Leben

Elango ist ein begnadeter Töpfer. Er arbeitet als Rikschafahrer, bringt Sara und ihre Schwester zur Schule. Sara wird seine Schülerin. Dritter im Bunde ist Chinna, ein Hund.

"Ton für die Götter" heißt Anaradha Roys Roman, der in Südindien und in London spielt. Elango träumt davon, ein riesiges Terrakotta-Pferd zu schaffen für Zohra, die Frau, die er liebt, aber nicht lieben darf. Er ist Hindu, sie Muslima.

"Die Kluft zwischen ihnen war eine Schlucht voll mit verbranntem, blutigem Menschenfleisch, ein gigantischer Riss, der wie ein offenes Maul darauf wartete, ihn zu verschlingen. Ein Leben ohne Zohra konnte er sich nicht mehr vorstellen. Es wäre unerträglich. Aber er traute sich auch nicht, sich ein Leben mit ihr auszumalen. Es war undenkbar."

Rassen- und Religionskonflikte in Indien

Ein blinder Kalligraph, für den die Zohra sorgt, hat auf Urdu einige Verse auf die Pferdeskulptur geritzt. Urdu sei die Sprache der Dichter, meinen die einen, Urdu sei die Sprache der Mullhas, meinen die anderen. Urdu auf einem hinduistischen Pferd, das sei ein Ding der Unmöglichkeit.

Obwohl der Roman Ende der Siebziger-, Anfang der Achtziger-Jahre spielt, könnte er nicht moderner sein. Rassen- und Religionskonflikte erschüttern Indien, damals wie heute. Anuradha Roy schreit ihre politischen Ansichten nicht heraus. Sie erzählt vielmehr ganz ruhig von den beiden Liebenden, deren zarten Annäherungen, von Verlangen und Verlust, von zerstörerischen Sektierern und fanatischen Gläubigen. Elangos wunderbares großes Pferd wird vom wütenden Mob zerstört.

"Solche Dinge geschehen auf der ganzen Welt, jede Stunde, vielleicht sogar jede Minute, an manchen Orten öfter als an anderen. Die Variationen sind unendlich, und die jeweiligen Umstände nur für die wichtig, die sie betreffen."

Umweht von Traurigkeit

Durch diese zurückhaltende Sprache wird die Binarität von Schöpfung und Zerstörung umso eindrücklicher. Elango flieht mit Zohra nach Delhi. Einige Jahre später stellt er seine Töpferwerke in London aus. Seine ehemalige Schülerin Sara lebt mittlerweile in England, sie hat ein Stipendium für eine englische Universität bekommen. Aufgeregt fährt sie nach London, um Elango zu besuchen.

Alle umweht eine leise Traurigkeit, alle vermissen etwas, alle haben etwas verloren. Anuradha Roy ist großartig darin, Innenleben zu beschreiben. Feinsinnig, unaufgeregt beschreibt sie Hund und Menschen, beschreibt die zerrissenen Charaktere ihrer Protagonisten, ihre Verletztheit, ihre Traumata, die sie zu dem haben werden lassen, was sie geworden sind. "Tön für die Götter" ist ein Roman, den man, einmal angefangen, nicht mehr aus der Hand legen kann.

Aufkeimende Hoffnung

Anuradha Roy erzählt einfühlsam aus drei unterschiedlichen Perspektiven: Wenn sie über Elango schreibt, ist sie auktoriale Erzählerin, beschreibt ihn in der dritten Person. Das gibt die nötige Distanz zum schrecklichen Geschehen. Sarah lässt sie ihre Geschichte selbst erzählen, in der Ich-Form. Sie ist eine selbstbewusste junge Frau geworden, spricht für sich selbst.

Der Hund Chinna wird durch Briefe seiner ersten Besitzerin lebendig. Auf den allerletzten Seiten, als er diese nach langen Jahren weitersieht, betrachtet Anuradha Roy die Welt aus Hundeaugen. Chinna hat allen Menschen, denen er begegnet ist und von denen er wieder verlassen worden ist, wortlos Trost gespendet. Sie kraulen ihn, sie legen sich zu ihm. Sie werden ruhig. Er macht keine Unterschiede. Er scheint weiser als viele Menschen. Immer wieder keimt so etwas wie Hoffnung auf. Das in wilder Raserei zerbrochene Pferd, Sinnbild für Schönheit und Harmonie, ist nicht völlig zerstört worden. Sara und ihr Vater haben einzelne Stücke retten können.

"Abgesehen von dem von meinem Vater und mir wieder zusammengesetzten Kopf hatten wir etliche andere Teile geborgen und in unseren Garten geholt. Zwei Beine standen neben der Guave, und der Schweif diente als Dach für das Vogelbad."

Die Sehnsüchte bleiben

"Ton für die Götter" ist auch Roman über das Töpfern, über schmutzige Füße und nasse Hände, über die vielen vergeblichen Versuche, etwas Schönes zu schaffen, über die Beharrlichkeit, die man dafür braucht. Am Ende des Romans ist kein Konflikt gelöst, kein Trauma bewältigt. Die Sehnsüchte bleiben. Aber auch die Geduld und die Hoffnung.