Buchcover: "Das Paket" von Margarita García Robayo

"Das Paket" von Margarita García Robayo

Stand: 23.05.2024, 07:00 Uhr

Eine junge Frau aus Kolumbien lebt in Buenos Aires und würde sich am liebsten ganz von ihrer Familie lossagen. Aber dann wird die Mutter der Protagonistin in einem Paket geliefert. Oder ist sie nur ein Trugbild? Margarita García Robayos origineller Roman über Familienbande. Eine Rezension von Tobias Wenzel.

Margarita García Robayo: Das Paket
Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz.
dtv, 2024.
240 Seiten, 24 Euro.

"Das Paket" von Margarita García Robayo

Lesestoff – neue Bücher 23.05.2024 05:29 Min. Verfügbar bis 23.05.2025 WDR Online Von Thilo Jahn


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Als die Schaltung aus Deutschland in ein Tonstudio in Buenos Aires steht, geht dort noch einmal die Tür auf:

O-Ton Margarita García Robayo: "Was ist das? Mal sehen..."

 Margarita García Robayo wird ein an sie adressiertes Expresspaket mit meinem Absender übergeben. Sie öffnet es:

O-Ton Margarita García Robayo: "Oh, mein Gott! Wie toll! Da ist eine Flasche Rum drin. Und eine Biskuitrolle. Und… (lacht) …eine großartige Zeichnung von einem Mädchen mit Krone, Umhang und Stiefeln."

In "Das Paket", dem Roman der kolumbianischen Autorin, bekommt die Ich-Erzählerin in Buenos Aires genau diese und weitere Dinge in Paketen von ihrer Schwester aus einer namenlosen Stadt geschickt, die man leicht als das kolumbianische Cartagena entschlüsselt. Die Pakete und die Videotelefonate mit ihrer Schwester sind die einzige Kommunikation der Erzählerin mit ihrer Familie.

Mit ihrer Mutter spricht sie nicht mehr. Aber dann wird der Protagonistin, die für eine Werbeagentur arbeitet und einen Roman veröffentlichen will, eine schwere Holzkiste zugeschickt. Die will sie später aufmachen. Doch plötzlich scheint sie sich von selbst geöffnet zu haben:

"Da sehe ich sie.Ich schalte das Licht aus. Es ist eine Spiegelung. An den Wänden zittern die Schatten, die von außen hereinkommen. Ich schalte das Licht an. Da ist sie wieder, sitzt mitten auf dem Diwan, die Haare zu einem strengen Dutt hochgesteckt, der ihre Schläfen spannt und ihr dunkles Gesicht aufhellt – die Wimpern starr von Tusche, starkes Rouge, erdfarbene Lippen. […] Sie trägt ein ärmelloses Kleid, umarmt sich selbst und reibt ihre Arme. 'Mir ist kalt', sagt sie."

Es ist die Mutter der Erzählerin. Oder nur eine Halluzination oder Imagination? Oder macht uns die Erzählerin etwas vor? García Robayo spielt wunderbar mit Schein und Sein und verwehrt uns Lesern bewusst letzte Gewissheit in diesem von Dagmar Ploetz treffend übersetzten Roman. Der ist reich an feinen Beobachtungen und schönen Einfällen ist. Ein Buch über das Leben in der Fremde und die Frage, was das für die Beziehung zur daheim gebliebenen Familie bedeutet:

 O-Ton Margarita García Robayo: "Wenn man weit von ihr entfernt ist, wird die Familie zu einer Art geisterhaftem Schatten, fast zu einer Last. Ich meine 'Last' nicht mal negativ. Man trägt einen unsichtbaren Rucksack, den man nicht loswird. Manchmal wiegt er nichts, manchmal vergisst man ihn. Aber einige Umstände erinnern einen daran, dass er da ist."

 

Die Mutter bringt das Leben der anfangs kontrolliert wirkenden Erzählerin durcheinander und die Nachbarn gegen ihre Tochter auf. Die verschweigt ihrem Freund das unglaubliche Auftauchen ihrer Mutter und schottet sich ab. Die Beziehung zum Freund ist plötzlich nicht mehr unbeschwert. Dann dekoriert die Mutter auch noch die Wohnung ihrer Tochter um:

"Wie meine Mutter den Raum nutzt, verwirrt mich zwar, aber es macht mich nicht wirklich wütend. Die Belästigung wird von einem plötzlichen Mitgefühl konterkariert, das mich daran hindert, den Besen zu holen und alles kaputtzuschlagen."

Bald empfindet die Erzählerin sogar eine angenehme Nähe zu ihrer Mutter. Erinnerungen an die karibische Kindheit kommen hoch. Und dann wartet auf die Protagonistin noch eine große Überraschung…

Auch für sie hätte ich da noch eine Überraschung, sage ich der zugeschalteten Autorin. Gleich werde ihr ins Studio eine zweite Sendung, eine enorm große Kiste, gebracht, bluffe ich:

 O-Ton Margarita García Robayo: "Aber da ist jetzt nicht meine Mutter drin! (lacht)"

Würde es für sie Freude oder Horror bedeuten, wenn jetzt ihre Mutter aus einer Postsendung stiege?

 O-Ton Margarita García Robayo: "Eine riesengroße Versandkiste mit der Vergangenheit darin, die man hinter sich lassen will, um sie jetzt nicht Mutter, Vater, Familie oder Herkunft zu nennen, wird für mich immer der Horror sein."

"Das Paket" ist ein präzise ausgearbeiteter, origineller Roman über den Blick aus der Ferne auf die eigenen Wurzeln und über die Frage nach Trug und Wirklichkeit.