Buchcover: "Als die Welt entstand" von Drago Jančar

"Als die Welt entstand" von Drago Jančar

Stand: 12.10.2023, 12:00 Uhr

Maribor in Slowenien, Ende der 50er Jahre. Der zweite Weltkrieg wirkt immer noch nach, die Gesellschaft ist tief gespalten. Der 12jährige Danijel versucht, die komplizierte Welt der Erwachsenen zu verstehen. Eine Rezension von Theresa Hübner.

Drago Jančar: Als die Welt entstand
Aus dem Slowenischen von Erwin Köstler.
Zsolnay, 2023.
272 Seiten, 26 Euro.

"Als die Welt entstand" von Drago Jančar

Lesestoff – neue Bücher 12.10.2023 05:20 Min. Verfügbar bis 11.10.2024 WDR Online Von Theresa Hübner


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Maribor, ein Städtchen im Nordosten Sloweniens. Ende der 1950er Jahre gehört es zu Jugoslawien. Der zweite Weltkrieg ist zwar vorbei, doch  in den Köpfen der Menschen spuken weiter die Erinnerungen. Danijel ist 12, und er versucht, die Welt um ihn herum zu begreifen, was nicht immer gelingt, denn sie ist so widersprüchlich. Und ob sie genauso, wie Danijel sie erzählt, stimmt? Auch das ist nicht ganz sicher.

"Die Welt, die es noch nicht gibt, und die in der von Danijel erzählten Geschichte vor unseren Augen entstehen wird, ist von einer tiefen Stille vom Himmel bis zur Erde durchdrungen. In diese Welt kommt eine Geschichte, die auf so festen Fundamenten wie der Erinnerung und der Phantasie eines Kindes beruht. Darum ist sie im Traum und in der Wirklichkeit zu Hause, beides zugleich."

 

Die Erwachsenen sind für Danijel keine Hilfe. Sein Vater hat im Krieg als Partisan gegen die Deutschen gekämpft. Nur zu gerne würde Danijel in ihm einen Helden sehen, doch jetzt feiert der einstige Kämpfer nächtelang mit alten Kameraden und wird schließlich durch einen Schlaganfall außer Gefecht gesetzt. Danijels Mutter geht heimlich in die Kirche, schickt auch ihren Sohn zum Unterricht ins Kapuzinerkloster, obwohl das im beginnenden Kommunismus nicht gerne gesehen wird. Und so kommt Danijel, der natürlich auch Pionier ist, in Erklärungsnot.

"'Geht niemand ins Kapuzinerkloster?' Stille. 'Erinnert ihr euch an den Pioniereid? Ein Pionier sagt die Wahrheit'. Er erhebt sich. Tovarisica Benedetic wirkt verblüfft. 'Danijel, du auch?' Es läuft ihm kalt den Rücken hinunter, nur nicht rot werden, nur nicht rot werden. Er wird rot."

 

Maribor und seine Umgebung sollten im zweiten Weltkrieg „eingedeutscht“ werden – es gab Widerstand, aber auch Kollaboration, nicht immer freiwillig. Nun, 15 Jahre nach Kriegsende, spaltet sich die slowenische Gesellschaft in die, die auf der richtigen Seite standen, wie Danijels Vater – und die auf der falschen, wie der Vater von Danijels bestem Freund Franci.

Doch es geht nicht nur um Politik und Geschichte in diesem Roman, auch erste, zarte erotische Gedanken entwickelt Danijel – vor allem für die schöne Lena, die eines Tages ins Erdgeschoss einzieht. Wieder versteht der junge Erzähler ndie Welt nicht, denn eines Tages betrügt die schöne Lena ihren liebenswerten Verlobten mit einem dubiosen Gitarrenspieler. Das Ganze endet dramatisch – Danijel mittendrin.

 

"Als die Welt entstand" schildert die Nachkriegsjahre in der slowenischen Stadt Maribor zwar aus dem Blick des 12jährigen Danijels, doch Drago Jančar hat noch eine zweite Erzählperspektive eingebaut, die des erwachsenen Danijels. Das ist eine sehr gute Entscheidung, denn so sind Reflektion, Einordnung und letztlich mehr Tiefe möglich. Der erwachsene Daniel begreift im Rückblick mehr, auch so komplizierte Dinge wie die Liebe.

"Heute verstehe ich, sagt Daniel, was so ein Zittern bedeutet. Es ist das Zittern der Liebe, das einen meist im Frühling befällt, wenn die ganze Natur in ihrem plötzlichen Erwachen erbebt, die ersten grünen Blättchen, dann die Blüten, dann bricht auf einmal das Grün hervor. (…) Dieses ganze Chlorophyll oder wie das heißt will einen ersticken (…)."

"Als die Welt entstand" ist keine Opfergeschichte, denn Danijel findet Rettung und Halt in seiner Fantasie. Er verknüpft biblische Geschichten, wie die von David gegen Goliath, mit dem, was er erlebt, er findet Bilder und Deutungen. Drago Jančars Stil ist dabei minimalistisch, die Dialoge eher knapp – und gerade dadurch sehr intensiv. Dass davon auch auf Deutsch nichts verloren geht, ist sicher auch Erwin Köstlers hervorragender Übersetzung zu verdanken.

Drago Jančars „Als die Welt entstand“ hat alles, was ein Roman von Format braucht: Liebe und Hass, Treue und Verrat, große, philosophische Fragen und kleine handfeste Alltagssorgen. Wer Slowenien heute verstehen will, kommt an diesem Roman über das Slowenien von gestern nicht vorbei.