"Der Wind kennt meinen Namen" von Isabel Allende
Stand: 11.04.2024, 19:51 Uhr
Zwei Kinder werden von ihrer Mutter getrennt: Ein jüdischer Junge 1938 in Wien und ein Flüchtlingsmädchen aus El Salvador in den USA unter Präsident Trump. In ihrem Roman "Der Wind kennt meinen Namen" verknüpft Isabel Allende diese traumatischen Schicksale. Eine Rezension von Tobias Wenzel.
Isabel Allende: Der Wind kennt meinen Namen
Roman, Aus dem Spanischen von Svenja Becker
Suhrkamp, 335 Seiten, 26 Euro
(ET: 15. April)
O-Ton Isabel Allende: "Das Schlimmste, was Eltern passieren kann, ist, dass ihr Kind verschwindet und sie nicht wissen, was mit ihm geschehen ist."
Das und die Frage, was solch eine Trennung für Kinder bedeutet, hat Isabel Allende zum Thema ihres neuen Romans gemacht. Der beginnt mit dem Novemberpogrom 1938 in Wien. Die jüdische Familie Adler muss um ihr Leben fürchten. Der Vater wird schwer verletzt und ins Konzentrationslager deportiert. Die Mutter trennt sich von ihrem fünfjährigen Sohn Samuel, damit er mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit gebracht wird.
Über 80 Jahre später, 2019, wird im US-Bundesstaat Arizona an der Grenze zu Mexiko ein anderes Kind von seiner Mutter getrennt: Die siebenjährige blinde Anita ist mit ihrer Mutter vor der Gewalt in El Salvador in die USA geflüchtet. Der Fall von Anita beruht auf einer wahren Geschichte. Allende nennt Donald Trump, der für die damalige Grenzpolitik verantwortlich war, im Buch nicht beim Namen:
O-Ton Isabel Allende: "Weil er nicht der einzige ist, der Familien getrennt hat. Offiziell dürfen zwar nun an der US-amerikanischen Grenze keine Familien mehr getrennt werden. Aber im Verborgenen passiert das immer noch. Unabhängig vom Präsidenten ist die Tragödie dieselbe: in der Ukraine, in Syrien, in Gaza. Überall sind die Mehrheit der Flüchtlinge Frauen und Kinder. Und oft werden die Kinder von den Eltern getrennt."
Während Samuel auf das Trauma der Trennung reagiert, indem er sich der Musik widmet und Orchestergeiger und Musikdozent in Kalifornien wird, sucht die siebenjährige blinde Anita Zuflucht im Reich der Fantasie und spricht mit ihrer toten Schwester. Diese Rede Anitas wirkt in der ansonsten soliden deutschen Übersetzung von Svenja Becker aber unglaubwürdig, weil sie das kindliche Sprechen im spanischen Original teils in ein zu geschliffenes Schriftdeutsch übertragen hat. Zudem bleiben Isabel Allendes Figuren meist zu schablonenhaft, was auch daran liegt, dass die Autorin Dialoge mit Informationen für den Leser über die Nazizeit und die Flüchtlingssituation in den USA überfrachtet. Aus Fleisch und Blut und als komplexer Charakter entwickelt wirkt dagegen die Nebenfigur Peter Steiner, ein Freund der jüdischen Familie Adler. Er wird Zeuge des Novemberpogroms in Wien:
Zitat aus dem Roman: "Fassungslos über sich selbst spürte der Apotheker, dass der Taumel der Menschenmasse um ihn herum ansteckend und befreiend wirkte, dass er selbst Lust bekam, alles zu Klump zu treten, in Brand zu stecken und sich die Seele aus dem Leib zu brüllen, dass er zu einem Monster wurde."
Zu selten finden sich solch differenzierte Charakterstudien im Roman. Aber insgesamt gelingt es Allende trotzdem, Spannung zu erzeugen. Als Leser will man etwa unbedingt wissen, was mit der Mutter des Flüchtlingskindes Anita passiert ist. Das herauszufinden versuchen die Sozialarbeiterin, die Anita zum Asyl in den USA verhelfen will, und ein Anwalt, der sich in sie verliebt und dem die Flüchtlinge bald nicht mehr gleichgültig sind. "Der Wind kennt meinen Namen" ist eben auch ein Plädoyer gegen Indifferenz in einer Welt der Massenmedien und Sozialen Netzwerke:
O-Ton Isabel Allende: "Die jetzige extreme Gleichzeitigkeit von derart vielen Informationen erzeugt Gleichgültigkeit. Wenn man aber in kleineren Gemeinschaften arbeitet und lebt, wenn man die Mitmenschen persönlich kennt, dann entsteht Empathie. Ich wohne in einer sehr kleinen Straße, einer Sackgasse, in der ich alle Nachbarn kenne. Wenn zum Beispiel der Strom in der Straße ausfällt, rufen mich innerhalb von zehn Minuten mindestens drei Nachbarn an, um zu fragen, ob es mir gut geht, ob ich eine Taschenlampe oder Kerzen brauche. Weil wir uns kennen."
Indem er Anita kennenlernt, wird auch Samuel als alter Witwer einfühlsam. Trotz seiner Schwächen rührt dieser Roman durch seine empathische Seite.