Buchcover: "Der beste Tage seit langem" von Jana Volkmann

"Der beste Tage seit langem" von Jana Volkmann

Stand: 09.08.2024, 09:45 Uhr

Haben Tiere ein Recht zu streiken, ihre Arbeit in Versuchslaboren und Fabriken der Lebensmittelhersteller zu verweigern? Jana Volkmann verhandelt darüber in dem entfesselnden Roman "Der beste Tag seit langem". Eine Rezension von Dorothea Breit.

Jana Volkmann: Der beste Tag seit langem
Residenz Verlag, 256 Seiten, 26 Euro.

"Der beste Tag seit langem" von Jana Volkmann

Lesestoff – neue Bücher 15.08.2024 06:01 Min. Verfügbar bis 15.08.2025 WDR Online Von Dorothea Breit


Download

Tante und Nichte leben in einem einfachen Haus mit Garten und Obstbaum in der Wiener Peripherie. Eine hohe Hecke schützt sie vor den Blicken der Nachbarn. Seit dem Tod ihrer Mutter lebt die siebzehnjährige Cordelia bei der Tante und verleiht deren zwischen Transkriptionsarbeiten im Homeoffice und Tagträumen dahintreibenden Dasein eine gewisse Struktur. Bis zu jener Sommernacht, in der die zwei auf einen ausrangierten Fiakergaul stoßen.

"Nichts auf der Erde war so weich wie diese Pferdenase. Ich stellte mir vor, dass das für alle Pferdenasen galt: Egal, wie alt und struppig das Pferd bereits war, wenn mit den Jahren überhaupt etwas mit ihren Nasen geschah, dann nur, dass sie noch weicher wurden. Ich kraulte seine Stirn, kämmte mit den Fingern durch seine Mähne. Ich fragte mich, ob es mir zugelaufen war oder ob Cordelia und ich nicht vielmehr ihm zugelaufen waren. (...) Ab wann Tiere überhaupt als einander zugelaufen gelten. Wann man einander behalten durfte, wann man dazu sogar verpflichtet war."

Das Pferd folgt ihnen humpelnd in den Garten ihres Hauses und bleibt. Von da an dreht sich das Leben der Ich-Erzählerin und ihrer Nichte in Jana Volkmanns "Der beste Tag seit langem" nur noch um das Wohl der Stute. Sie nennen sie Isidora, putzen und striegeln sie, und Isidora bereichert die Zweisamkeit der beiden um das Glück der Tierliebe und Verantwortung. Nur hier und da beschleichen die Tagträumerin Zweifel, ob es nicht doch Diebstahl sei, ein herrenloses Pferd bei sich aufzunehmen? Indessen ihr Keller sich in einen Heuschober verwandelt.

"Zunächst war nur hier und dort ein Halm auf dem Teppich gelandet, (...) doch bald schon mäanderte es, (...) sammelte sich an den Fußleisten und in den Ecken, bildete lose Bündel und häufte sich und häufte sich (...). Wir hatten Stroh in der Waschmaschine, im Kühlschrank; unser Haus war ein Stall geworden, obgleich die Stute sich noch nicht hineingewagt hatte (...) und (...) wir erwischten immer öfter die Karglkatze dabei, wie sie in der Abwasch die Töpfe und Teller sauberschleckte."

Im Sog tierliebender Fürsorge geraten die zwei Frauen in einen Strudel der Überwältigung, aus dem sie kaum mehr herauskommen in dieser vergnüglichen Geschichte. Der Garten verschlammt, die Hecke lichtet sich zwischen den zupfenden Zähnen Isidoras, die edle Perserkatze der Kargl-Damen von gegenüber wird ihr Dauergast. Weshalb sie eine Anzeige der Anwältinnen befürchten, die Pumps und Doktortitel tragen und teure Autos fahren.

Nichts dergleichen jedoch passiert, als sie mit einem Carport-Bausatz als Unterstand für Isidora vom Baumarkt nach Hause kommen und eine der Kargl-Töchter auf sie zugeht.

"Es tat mir wohl, mich aus der Verantwortung zu stehlen. Ich würde ganz gewiss keinen Hehl daraus machen, dass uns das Pferd zugelaufen war, oder wir ihm, und dass es uns nicht gehörte, auch wenn es uns auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein schien. (...) Die Karglerin ging angstlos auf die Stute zu, so wie man es macht, wenn man es kann: nicht zu schnell und nicht zu zögerlich, so, als kenne man sich bereits. Sie kraulte ihr den Hals, dass es staubte. Isidora stieß sie mit dem Kopf, rieb sich, eine Liebesgeste. (...) 'Jetzt bauen wir dir ein Haus', sprach die Karglerin zum Pferd und ging an die Arbeit, ganz die Bauherrin, auf die wir insgeheim gewartet hatten."

Unerwartet fügt sich eins ins andere in Jana Volkmanns gut beobachteter Milieustudie über Tierlebens- und Arbeitsrechte und des Menschen Pflichten in einer saturierten postbürgerlichen Gesellschaft: Die Nachrichtenmeldungen über das Verschwinden von Legehennen und Tieren aus Versuchslaboren, aus Schweineställen und dem Zoo. Die Karglerin und ihre Familie entpuppen sich als Komplizinnen hinter konventioneller Fassade, die hoch genug ist, eine Gruppe von Idealist*innen aus Studienzeiten der jungen Karglerin zu decken beim Versuch, die Welt zu verändern.

"Es schien mir ganz und gar absurd, dass gleich nebenan jemand ein ähnliches Familienmodell pflegte wie wir, nur um einiges größer und in jeder Hinsicht professioneller, mit gutem Geschäftssinn und bester Personalführung. Ich hatte uns immer für höchst unkonventionell gehalten. Es kränkte mich, so nah an anderen Tanten und Nichten zu leben."

Dass bei allem Witz die Affäre zwischen Tier und Mensch auch tragisch enden kann, dazu bedarf es nicht viel in dieser lesenswerten Parabel über Verantwortung und Haltung: dem Tier, dem Menschen, der Welt und der Zukunft gegenüber. Es ist eine persönliche Entscheidung, sich den Dingen zu stellen, wie Cordelia, oder zu entziehen, wie die Ich-Erzählerin, die sich in ein poetisches Nirgendwo Gras überwucherter Zuggleise davonstiehlt und verflüchtigt in einem abgekoppelten Epilog, der im Kursivdruck formal und inhaltlich den Bogen zum Buchanfang schlägt, elegant vielleicht, aber ohne Notwendigkeit.