"Ich komme nicht zurück", von Rasha Khayat
Stand: 09.08.2024, 09:41 Uhr
Liebeskummer ist kein Phänomen, das sich auf romantische Beziehungen begrenzt. Das Ende von Freundschaften kann mindestens genauso qualvoll sein kann, wie Rasha Khayats Roman "Ich komme nicht zurück" unter Beweis stellt. Eine Rezension von Michelle Clermont.
Rasha Khayat: Ich komme nicht zurück
Roman, Dumont, 176 Seiten, 24 Euro.
Man kennt es vielleicht: Die Menschen, die man vermisst, sieht man überall. Mit diesem schönen Bild beginnt der Roman. Denn Hanna, die Protagonistin und Ich-Erzählerin von "Ich komme nicht zurück", vermisst ihre ehemals beste Freundin Zeyna. Ob bei der Jogging-Runde, beim Einkaufen oder an der Tankstelle: Zeyna begegnet ihr überall. An einem kalten Winterabend in der Corona-Zeit – Hanna hat sich gerade eingebildet, ihre Freundin im Bus gesehen zu haben – hält sie es nicht mehr aus und schreibt ihr, obwohl sie seit Jahren keinen Kontakt mehr haben. Doch mehr als ein digital versendetes "Lass es einfach, okay?", bekommt sie nicht zurück. Hannas Schmerz darüber – und ihre Einsamkeit während des Corona-Lockdowns – ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch.
"Menschen sind erst da, sind Teil von dir, und dann sind sie es nicht mehr. Viel mehr passiert in einem Leben nicht. Was ist ein Leben wert, wenn niemand sich mit dir erinnert? Wenn niemand sich mit dir an deinen Schulweg erinnert, an deine erste Liebe, an die Menschen, die dich gemacht haben, erinnert. Was ist ein Leben wert, wenn du die Einzige bist, die sich über Fotos beugt und denkt – damals."
Mit viel Pathos werden Hannas Erinnerungen aufgewärmt. Die Leserschaft erfährt, dass Zeyna und ihr Vater Nabil, die vor dem Krieg im Libanon nach Deutschland geflohen sind, von Hannas Großeltern wie eine zweite Familie adoptiert wurden. Hanna, Zeyna, sowie Cem – der Dritte im Bund – werden unzertrennlich. In der Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet wird Apfelsinenkuchen verspeist, gemeinsam Weihnachten gefeiert und die Schulbank gedrückt. Die in Nostalgie getränkten Rückblicke, gepaart mit der bedeutungsschwangeren Tonalität des Buches führen dazu, dass die Schwelle zur Theatralik schnell übertreten wird. Wortschöpfungen wie "Erinnerungstür" oder "Samtpfotensommer" tragen ebenfalls zu diesem Eindruck bei.
"Die Bilder sagen, wir waren glücklich und leicht, haben gelacht und gefeiert. Echte Fotos noch, da hat man nur eingefangen, was wirklich wichtig war. 24, maximal 36 Bilder hatte man, um zu zeigen – wir hatten es schön. Du und ich, ohne Mütter, in Zwischenräumen zu Hause. Verrückt, was man alles nicht einfangen konnte. Verrückt, dass es heute für alles Worte und Bilder gibt. Ganze Bücher, ganze Bibliotheken könnte man füllen mit all den ungesagten Worten, den ungesagten Sätzen."
In der Vergangenheit der Dreien ist nicht alles rosarot: ganz im Gegenteil. Die Autorin lässt wahre Begebenheiten in die Fiktion miteinfließen, um auf den strukturellen Rassismus in der deutschen Gesellschaft aufmerksam zu machen, dem Zeyna und Cem ausgesetzt sind. Neben dem rechtsextremistischen Anschlag auf die Geflüchteten-Unterkunft in Mölln, sind es die Terrorangriffe des 11. Septembers, die dazu führen, dass sich die Freundschaft zwischen den Dreien verändert.
"Wir waren Türme gewesen füreinander, und nun gab es euch, und es gab mich. Ich rief euch an, lud euch zu uns in den Garten ein, wie früher, wie vor einem Jahr. Zusammen grillen, Karten spielen, Musik hören, du und ich, die über Cem lachen, weil er ins Gebetshaus geht. Nicht böse lachen, lachen, weil wir doch alle Freunde sind. Weil wir doch unzertrennlich sind. Doch der Zauber war gebrochen."
"Ich komme nicht zurück" ist ein leichter Roman über starke freundschaftliche Bande, die über Sprachbarrieren und kulturelle Verschiedenheiten hinausgehen. Mühelos kann sich die Leserschaft in der Ich-Erzählerin wiederfinden, deren emotionale Not sehr nachvollziehbar dargestellt wird. Auch reißt der Roman wichtige gesellschaftliche Themen wie Entfremdung, Einsamkeit, Rassismus und Entwurzelung an. Dennoch kann er nicht in Gänze überzeugen. Zu schablonenhaft bleiben die Figuren, zu floskelhaft die Sprache. Daran ändert auch nichts der QR-Code auf der letzten Seite, mit dem die Lesenden die Spotify-Playlist von Hanna, Zeyna und Cem aufrufen können. Auf der Strecke bleibt leider auch die Spannung. Obwohl man erst auf den letzten Seiten erfährt, warum der Kontakt zwischen Zeyna und Hanna abgerissen ist, stellt sich im Laufe des Romans zu wenig Neugier ein, den Grund dafür herauszufinden.