Buchcover: "Hölle und Paradies" von Bettina Baltschev

"Hölle und Paradies" von Bettina Baltschev

Stand: 11.04.2024, 12:00 Uhr

Bettina Baltschev erzählt, wie der Amsterdamer Querido-Verlag zur Heimat vieler berühmter Schriftsteller wurde, die 1933 aus Deutschland emigrieren mussten. Eine Rezension von Andreas Wirthensohn.

Bettina Baltschev: Hölle und Paradies. Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur
Berenberg, 2024.
208 Seiten, 22 Euro.

"Hölle und Paradies" von Bettina Baltschev

Lesestoff – neue Bücher 11.04.2024 05:49 Min. Verfügbar bis 11.04.2025 WDR Online Von Andreas Wirthensohn


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Allein schon die Verlagsadresse verheißt Großes: Keizersgracht, Hausnummer 333 in Amsterdam. Von außen ist dieses Grachtenhaus ein eher unscheinbarer Bau, und doch pochte hier ab 1933 eines der Herzen der deutschsprachigen Literatur. Der heute weitgehend vergessene Bruno Frank, einer der namhaftesten deutschen Autoren, der nach der nationalsozialistischen Machtübernahme fliehen musste und fortan im Exil lebte, fand hier für mehrere Jahre ebenfalls eine verlegerische Heimat.

In einem seiner letzten Romane mit dem Titel "Die Tochter", 1943 in Mexiko erschienen, setzte er seinem langjährigen Exilverlag ein literarisches Denkmal. Die Protagonistin namens Elisabeth betreibt in einem galizischen Städtchen eine Buchhandlung, in der sie auch deutsche Exilliteratur verkauft. Ein Großteil der Bücher kommt aus Amsterdam, und so beschließt sie eines Tages aus Interesse, dem dort ansässigen Verlag einen Besuch abzustatten. Das Gebäude in der Keizersgracht schildert sie so:

"Das Haus, ein hundertjähriger feiner Ziegelbau, blickte mit seiner hohen und schmalen Front nach der Gracht. Ulmen spiegelten ihr gezahntes Blattwerk im lautlosen Wasser. Droben das Zimmer im dritten Stock, zu dem man Elisabeth wies, schallte vor Tätigkeit. Die Arbeitenden waren beengt von Bücherstapeln und versandbereiten Paketen. Jemand diktierte. Zwei Schreibmaschinen klapperten durch die offenen Fenster in die Stille hinaus. Herr Auerbach kam aus einem Privatkontor und streckte ihr die Hände entgegen. Dieses Konto war ein Kämmerchen; ein Schreibtisch hätte nicht Platz gefunden. Statt dessen sah man neben dem Fenster ein altmodisches Stehpult, wirr mit Papieren bedeckt. Zwischen den Regalen und Büchertürmen blieb gerade Raum für zwei Stühle."

Der fiktive Herr Auerbach war im wirklichen Leben Fritz Landshoff, einst Leiter des Berliner Kiepenheuer Verlags und als solcher eine der prägenden literarischen Figuren der Weimarer Republik. Auch er musste 1933 fliehen und landete schon bald im Büro des Amsterdamer Verlegers Emanuel Querido. Der betrieb dort seit fast zwei Jahrzehnten einen recht erfolgreichen Verlag und entschließt sich nun, da fast alles, was Rang und Namen hat in der deutschsprachigen Literatur, ins Ausland flieht oder in Deutschland nicht mehr publiziert wird, einen eigenen, deutschsprachigen Verlag zu gründen: den Querido-Verlag, der unter Leitung von Landshoff 1933 seine Arbeit aufnimmt und gleich im ersten Jahr acht Bücher veröffentlicht.

Bis 1940, als die Nazis die Niederlande besetzen, erscheinen hier unzählige weitere Bücher, die längst zum Kanon deutscher Exilliteratur gehören: von Lion Feuchtwanger, Irmgard Keun, Joseph Roth, Heinrich Mann, Alfred Döblin und, und, und. Am Ende ihres Buches hat Bettina Baltschev sämtliche Publikationen des Verlags aufgeführt – nicht nur eindrucksvoller Beleg für die Bedeutung von Querido, sondern auch Anregung, diese Werke wieder oder neu zu entdecken.

Einer der wichtigsten Autoren des Verlags war Klaus Mann. Er war dort nicht nur mit seinen Romanen vertreten – unter anderem mit dem berühmten "Mephisto" –, sondern auch als Herausgeber der politisch-literarischen Zeitschrift "Die Sammlung" rastlos aktiv. In der ersten Ausgabe 1933 hatte Klaus Mann pathetische Worte gefunden:

"Diese Zeitschrift wird der Literatur dienen; das heißt: jener hohen Angelegenheit, die nicht nur ein Volk betrifft, sondern alle Völker der Erde. Einige Völker aber sind soweit in der Verirrung gekommen, dass sie ihr Bestes schmähen, sich seiner schämen und es im eigenen Lande nicht mehr dulden wollen."

In diesem Land, den Niederlanden, erscheinen bis 1935 24 Ausgaben der Zeitschrift, ehe vor allem die Versandkosten an die in ganz Europa verstreuten Abonnenten dem Projekt ein Ende machen. Der Verleger Emanuel Querido war eben nicht nur idealistischer Freund der Literatur, sondern auch nüchterner Geschäftsmann. Noch schwieriger wurde die finanzielle Situation, als 1938 Österreich ans Deutsche Reich "angeschlossen" wurde. Damit fiel der wichtigste Absatzmarkt weg. Endgültig vorbei war es dann mit der Besetzung der Niederlande durch die Wehrmacht 1940. Querido und seine Frau, Nachfahren sephardischer Juden aus Portugal, wurden deportiert und im Vernichtungslager Sobibór ermordet.

Bettina Baltschevs wunderbar zu lesendes Buch ist nicht nur eine Hommage an diesen mutigen Verleger, sondern auch Erinnerung an die ungeheure Widerstandskraft der Literatur. So schrieb Fritz Landshoff, der inzwischen nach England weitergeflohen war, 1940 an seine Autorin Vicki Baum:

"Solange es noch einen Menschen gibt, der deutsch liest, werde ich weiterverlegen, und wenn der gestorben ist, werde ich es erst recht tun."