Fall "Corelli": Was wir wissen und was nicht
Stand: 01.09.2016, 08:23 Uhr
Der Skandal um den V-Mann "Corelli" zieht immer weitere Kreise. Immer wieder werden neue Details über den verstorbenen Top-Spitzel des Verfassungsschutzes bekannt, dem Verbindungen zur Terrorzelle NSU nachgesagt werden. Ein Überblick über den Stand der Ermittlungen.
Welche Verbindungen hatte der Spitzel zur NSU?
V-Mann "Corelli" hatte 18 Jahre lang für das Bundesamt für Verfassungsschutz die rechte Szene in Sachsen und Sachsen-Anhalt ausspioniert. Für die "Top-Quelle" gab das Amt rund 300.000 Euro aus. Informant Thomas R. alias "Corelli", der sich "HJ Tommy" nannte, hatte sich selbst dem Verfassungsschutz angedient. Er betrieb Internet-Seiten, um die Szene zu vernetzen, half neonazistischen Medienprojekten mit Serverplatz, berichtete mit Fotos von zahlreichen Aufmärschen und mischte bei mehreren rechtsextremen Organisationen mit. Außerdem baute er ein internes Forum für Neonazis auf, saß so direkt an der Quelle, was Informationen anging. R. hatte zum Beispiel dem Fanzine "Der weiße Wolf" aus Mecklenburg-Vorpommern Serverplatz zur Verfügung gestellt. Das Fanzine veröffentlichte 2002 einen Dank an den NSU. Die Terrorgruppe hatte dem Neonazi-Magazin zuvor eine Spende von 2.500 Euro zukommen lassen.
Im Oktober 2014 fand das BKA im Archiv des Bundesamtes eine CD mit der Aufschrift "NSU/NSDAP", die seinem V-Mann-Führer bereits 2005 zugeleitet worden war. Der V-Mann will die DVD kurz zuvor beim Aufräumen gefunden haben. Der Inhalt der Daten-CD ähnelt denen von Thomas R.'s ehemaliger Internet-Seite, auf der er zahlreiche Aufnahmen aus dem "Dritten Reich" gesammelt hatte. Eine Beteiligung "Corellis" an der Herstellung ist nicht auszuschließen.
Welche Indizien gibt es?
Außerdem zählte der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg Thomas R. nach vorliegenden Dokumenten zum europäischen Ableger des rassistischen Ku-Klux-Klans; der V-Mann nahm sogar an einem Treffen in den USA teil. Das Pikante: Zu der KKK-Gruppe gehörten zeitweise auch zwei Polizisten aus der Einsatzgruppe der Polizistin Michelle Kiesewetter, die 2007 vom NSU in Heilbronn erschossen worden sein soll. Der Name Thomas R. stand auf einer Telefonliste von Uwe Mundlos, die 1998 in der Jenaer Bombenwerkstatt der dann Untergetauchten gefunden wurde. "Corelli" bestritt später, die untergetauchten Böhnhardt und Mundlos überhaupt zu kennen. Bisher gibt es trotz vieler Indizien noch keinen endgültigen Beweis für einen direkten Kontakt des V-Manns zur NSU.
Wie starb der V-Mann?
Als "Corelli" im September 2012 enttarnt wurde, kam er in ein Betreuungsprogramm für Ex-Spitzel. Wenig später starb der 38-Jährige nach offiziellen Angaben an einem Zuckerschock infolge einer unerkannten Diabetes-Erkrankung. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes hatten den Toten am 7. April 2014 in seiner Wohnung in Paderborn entdeckt. Sonderermittler Jerzy Montag kam in seinem Bericht für das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags zum Ergebnis, Hinweise auf Fremdverschulden hätten sich nicht feststellen lassen. Am 21. Juni 2016 teilt die Staatsanwaltschaft Paderborn mit, dass sie die Ermittlungen im Fall "Corelli" wieder aufnimmt. Ein Mediziner hatte im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags - abweichend von seinem früheren Gutachten - erklärt, es gebe drei Wirkstoffe, die theoretisch den festgestellten Insulinmangel-Diabetes hervorrufen könnten. Laut Staatsanwaltschaft geht der Mediziner nichtsdestotrotz davon aus, "dass es keine Anhaltspunkte für eine Fremdbeibringung von Stoffen gibt".
Was hat es mit den neu aufgetauchten Handys auf sich?
Nach Informationen des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) hat das Bundeskriminalamt (BKA) inzwischen die insgesamt 22 Handys, die der V-Mann und sein V-Mann-Führer zwischen 2007 und 2011 benutzt hatten, ausgewertet. Untersucht wurde vor allem, ob "Corelli" doch Verbindungen zum NSU-Trio gehabt haben könnte. Das Ergebnis der Untersuchung: Es haben sich "keine neuen Bezüge und Erkenntnisse zum NSU-Komplex" ergeben, schreibt Jerzy Montag in seinem Untersuchungsbericht, der dem RBB-Inforadio vorliegt.
Im Mai 2016 war bekannt geworden, dass bisher ein bisher unbekanntes Handy unvermittelt in einem Panzerschranks des Bundesamtes für Verfassungsschutz aufgetaucht war. Das soll der V-Mann im Herbst 2012 benutzt haben. Auf dem Handy sollen sich unter anderem Kontaktdaten vieler Neonazis und tausende Fotos befanden. Der Fund war bereits einige Wochen bekannt, bevor Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen Regierung und Parlament darüber informierte. Später tauchten weitere Handys und zahlreiche SIM-Karten auf, die "Corelli" und sein V-Mann-Führer benutzt haben sollen.
Welche Vorwürfe richten sich gegen den Verfassungsschutz?
Die Daten von Corellis Handys hätten in die Ermittlungen rund um den NSU und in die Aufklärungsarbeit der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse einfließen müssen, und sie hätten dem Bundestags-Sonderermittler zugänglich gemacht werden müssen. Warum die Handys nicht ordnungsgemäß ausgewertet wurden - ob aus Nachlässigkeit oder ob gar vorsätzlich Informationen zurückgehalten wurden - ist unklar.