WESTPOL zu Rätsel um V-Mann "Corelli"
Kutschaty will Akten nicht rausrücken
Stand: 01.02.2015, 16:44 Uhr
Was wusste der Verfassungsschutz über den NSU? Ex-V-Mann "Corelli" hätte womöglich Antworten gehabt, doch er starb 2014 in NRW. Am Montag (02.02.2015) will der Innenausschuss des Bundestages die Akten zu dessen Tod einsehen, doch NRW-Justizminister Kutschaty lehnt dies ab. WESTPOL fragt weshalb.
Von Dominik Reinle
Paderborn, 7. April 2014: Im Stadtteil Schloss Neuhaus finden Verfassungsschützer am Nachmittag den enttarnten V-Mann Thomas R. tot in seiner Wohnung. Der 39-Jährige hatte fast 15 Jahre lang unter dem Decknamen "Corelli" für den Bundesverfassungsschutz gearbeitet. Nach seiner Enttarnung im Zuge der NSU-Ermittlungen kam er 2012 in ein Zeugenschutzprogramm. Nach der Obduktion seiner Leiche stellt die Staatsanwaltschaft Paderborn als offizielle Todesursache eine bis dahin unerkannte Diabetes-Krankheit fest. Ein Fremdverschulden sei auszuschließen.
Seit wann wusste der Verfassungsschutz vom NSU?
Am Montag (02.02.2015) will sich nun der Innenausschuss des Bundestages in einer nicht öffentlichen Sondersitzung über die Ermittlungen zum Tod "Corellis" unterrichten lassen. Aber nicht nur darüber wollen die Parlamentarier informiert werden. Es geht bei der Sitzung auch um die Frage, seit wann die Verfassungsschützer vom NSU wussten. Denn bereits 2005 hatte Thomas R. dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine Daten-CD übergeben, die mit dem Kürzel "NSU/NSDAP" gekennzeichnet war.
Dies wurde allerdings erst öffentlich bekannt, als die Behörde im Herbst 2014 mitteilte, sie habe die CD kurz zuvor in ihrem Aktenbestand entdeckt. Damit steht aber fest: Es gab beim Bundesverfassungsschutz bereits sechs Jahre vor der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 einen Hinweis auf dessen Kürzel. Trotzdem beteuert der Verfassungsschutz bis heute, vom NSU nichts gewusst zu haben.
Gehörte "Corelli" zum direkten NSU-Umfeld?
Thomas R., der in der rechten Szene auch als "HJ Tommy" bekannt war, galt beim Bundesverfassungsschutz als Spitzenquelle. Es spricht einiges dafür, dass er zum direkten Umfeld des NSU-Trios gehörte. Seine Kontaktdaten standen auf einer Telefonliste von Uwe Mundlos, die 1998 in der Jenaer Bombenwerkstatt der dann Untergetauchten gefunden wurde.
Vier Jahre später, nach den ersten Morden des NSU, heißt es im Vorwort des Neonazi-Magazins "Der weiße Wolf": "Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter ..." Die Publikation hatte zuvor von der Terrorgruppe eine Spende von 2.500 Euro erhalten. Und Thomas R. hatte für die Verbreitung des Magazins im Internet gesorgt.
Kurz vor der Vernehmung tot aufgefunden
Was wusste "Corelli" über den NSU? Welche Informationen hat er wann an den Verfassungsschutz weitergegeben? Darüber konnte er keine Auskunft mehr geben. Denn kurz vor einer Vernehmung durch das Bundeskriminalamt wurde er tot aufgefunden. "Die Todesumstände sind einigermaßen ungewöhnlich", sagte der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), zu WESTPOL. "Es steht auch noch nicht einmal der genaue Zeitpunkt des Todes fest." Das werfe Fragen auf: "Handelt es sich um einen natürlichen Tod oder ist Fremdeinwirkung nicht doch wahrscheinlich? Wie ist er zu Tode gekommen? Welche Möglichkeiten gibt es?"
Der Innenausschuss des Bundestags will nun die medizinischen Gutachten dazu einsehen. Die liegen bei der Staatsanwaltschaft Paderborn. Doch NRW-Justizminister Kutschaty (SPD) verweigert die Freigabe. Er habe das vom Generalstaatsanwalt prüfen lassen, schreibt Kutschaty in einem Brief an den Ausschussvorsitzenden, der WESTPOL vorliegt. Ergebnis: Es gebe keine Rechtsgrundlage für die Herausgabe der Akten. "Ich habe keinen Anlass, der rechtlichen Würdigung des Generalstaatsanwalts in Hamm entgegenzutreten, und vermag Sie insoweit in dieser Angelegenheit nicht zu unterstützen", schreibt Kutschaty an Bosbach.
Hat Kutschaty für eine andere juristische Bewertung gesorgt?
Nach WESTPOL-Informationen war die Generalstaatsanwaltschaft ursprünglich aber durchaus bereit, die Akten herauszugeben. Noch im Herbst 2014 hatte ein Staatsanwalt aus Paderborn dies im Innenausschuss angekündigt. Hat Kutschaty jetzt also für eine andere juristische Bewertung gesorgt?
Fakt ist: Der NRW-Justizminister läßt weder Staatsanwalt noch Gutachter vor den Parlamentariern aussagen. "Das ist deswegen für uns auch sehr enttäuschend, weil uns in der Vergangenheit immer signalisiert worden ist, wir bekommen dieses Gutachten", sagt Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Es habe geheißen, der Gutachter könne vor dem Innenausschuss eine Aussage machen und Fragen beantworten. "Und jetzt soll es plötzlich rechtlich nicht mehr gehen. Also, für mich ist das nicht ganz nachvollziehbar."
Bosbach ergänzt: "Wenn Bedenken bestehen hinsichtlich Datenschutz: Wir hätten die Sitzung geheim eingestuft." Um die Akten nicht öffentlich werden zu lassen, hätte man die Akten auch in der Geheimschutzstelle des Bundestags hinterlegen können. "Ich fürchte, solange Akteneinsicht dem Ausschuss verweigert wird, werden die bekannten Theorien, die Verschwörungstheorien, weiter Nahrung bekommen." Kutschaty selbst wollte WESTPOL dazu kein Interview geben.
"Es entsteht der Eindruck der Vertuschung"
Für Experten passt das ins Bild der bisherigen Aufklärungsversuche. "Hier soll vertuscht werden, hier soll Aufklärung verhindert werden - wieder einmal entsteht dieser Eindruck und das dürfte eigentlich einem Politiker, noch dazu einem Minister, nicht genehm sein", sagt Journalist und NSU-Experte Andreas Förster.
Der Bundestag hat einen Sonderermittler zum Fall "Corelli" eingesetzt: Jerzy Montag von den Grünen. Er hat die Ermittlungsakten aus NRW zwar bekommen. Sein Bericht soll im Frühjahr den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Verfügung gestellt werden. Er bleibt damit weitgehend geheim. Ein Ersatz für eine Aufklärung im Innenausschusses ist das nicht.