Witwe von NSU-Opfer greift Zschäpe an

Stand: 21.11.2017, 18:01 Uhr

  • Im NSU-Prozess hat am Dienstag (21.11.2017) Elif Kubaşık gesprochen
  • Witwe des Dortmunder Opfers Mehmet Kubaşık wirft Beate Zschäpe Lügen vor
  • Auch Unzufriedenheit mit Aufklärung der Verbrechen des NSU
Elif Kubaşık am 13.01.2016 im NSU-Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages

Elif Kubaşık Anfang 2016 im NSU-Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages

Erstmals seit Jahren haben im NSU-Prozess Opferangehörige das Wort ergriffen. Im Zuge der Plädoyers sprach am Dienstag (21.11.2017) Elif Kubaşık im Saal des Oberlandesgerichts München. Die Witwe des ermordeten Dortmunder Kioskbetreibers Mehmet Kubaşık beklagte eine unzureichende Aufklärung des Verbrechens.

Fragen bleiben unbeantwortet

"Hier im Prozess sind meine Fragen nicht beantwortet worden", sagte Kubaşık nach den Worten eines Übersetzers. "Warum Mehmet? Warum ein Mord in Dortmund? Gab es Helfer in Dortmund?", fragte sie. Unklar sei auch, was der Staat über den "Nationalsozialistischen Untergrund" gewusst habe.

Vorwurf der Lüge an Zschäpe

Ein Schild mit der Aufschrift "Angeklagte Zschäpe" steht am 04.10.2017 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München (Bayern) auf dem Platz der Angeklagten.

Zschäpe wurde von Kubaşık direkt angesprochen

Kubaşık griff in ihrem Plädoyer auch die Hauptangeklagte Beate Zschäpe direkt an: Es sei schwer, den Anblick dieser Frau auszuhalten. Zschäpes Aussage sei "einfach ekelhaft" gewesen. "Es ist alles Lüge, was sie sagte."

Auch die Form, wie sich Zschäpe entschuldigt habe, sei verletzend und beleidigend gewesen. "Ich hatte das Gefühl, sie macht sich lustig über uns", sagte Kubaşık laut Übersetzung.

Alpträume und Angstzustände

Über die Zeit nach dem Mord an ihrem Mann sagte Kubaşık: "Mein Herz ist mit Mehmet begraben." Zudem schilderte sie, wie sehr sich danach alles verändert habe. Ihre Kinder hätten sich zurückzogen und sie selbst habe unter Alpträumen und ständigen Angstzuständen gelitten.

Kämpferisch sagte die Witwe: "Diejenigen, die diese Taten begangen haben, sollen nicht glauben, dass wir dieses Land verlassen werden. Ich lebe in diesem Land und ich gehöre hierher."

Lebenslange Haft für Zschäpe gefordert

Dem NSU werden zehn vorwiegend rassistisch motivierte Morde zugerechnet, darunter der an dem türkischstämmigen Kioskbetreiber Kubaşık im April 2006 in Dortmund. Zschäpe ist die Hauptangeklagte. Sie soll von sämtlichen Verbrechen ihrer Gesinnungsgenossen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gewusst und diese unterstützt haben. Die Bundesanwaltschaft fordert eine lebenslange Freiheitsstrafe.

"Mehmet Kubaşık war einer von uns!"

Von Dominik Reinle und Sabine Tenta

Die Hinterbliebenen der mutmaßlichen NSU-Mordopfer trafen sich zum Gedenken in Dortmund. Dort war 2006 Mehmet Kubaşık in seinem Kiosk erschossen worden. Oberbürgermeister Sierau würdigte den Ermordeten.

Treffen von Angehörigen der mutmaßlichen Mordopfer des NSU in Dortmund, im Vordergrund Gedenkstein für Mehmet Kubaşık

Seit Oktober 2014 besuchen die Familien der mutmaßlichen NSU-Opfer die Gedenkstätten für ihre getöteten Angehörigen. Nach Rostock, München und Hamburg trafen sie sich am Montag (30.11.2015) in Dortmund. Dort wurde am 4. April 2006 in der Mallinckrodtstraße der deutsch-türkische Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık erschossen. Er war das achte Opfer der bundesweiten Mordserie, für die der NSU verantwortlich sein soll.

Seit Oktober 2014 besuchen die Familien der mutmaßlichen NSU-Opfer die Gedenkstätten für ihre getöteten Angehörigen. Nach Rostock, München und Hamburg trafen sie sich am Montag (30.11.2015) in Dortmund. Dort wurde am 4. April 2006 in der Mallinckrodtstraße der deutsch-türkische Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık erschossen. Er war das achte Opfer der bundesweiten Mordserie, für die der NSU verantwortlich sein soll.

Die Reisen der Angehörigen organisiert die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John. Sie tröstet Elif Kubaşık, die Witwe des ermordeten Kioskbesitzers.

Für die Angehörigen war es sichtlich bewegend, zusammen am Tatort zu gedenken. Die Tochter und die Witwe von Mehmet Kubaşık sind die Ersten, die am Gedenkstein weiße Rosen niederlegen.

Es ist ein stilles Gedenken. Deshalb haben sich die Angehörigen auch gegenüber den Medien nicht geäußert.

"Damals war hier noch ein Kiosk, der Kiosk von Mehmet Kubaşık", sagte der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) in seiner kurzen Ansprache, bevor er ebenfalls eine Blume am Gedenkstein niederlegte. Das Geschäft gebe es zwar nicht mehr. "Was aber geblieben ist, sind die Erinnerung und das Gedenken an einen aufrichtigen Bürger, einen guten Ehemann und Vater." Sierau betonte: "Mehmet Kubaşık war einer von uns!"

"Das Wichtigste für die Angehörigen ist, dass sie zusammen sind und sich austauschen können", sagt Barbara John. "Das sind Familien, die aus verschiedenen Städten kommen, die meisten hatten vorher kaum Kontakt untereinander." Sie hätten alle das Gleiche erlebt und wüssten, wie sich das anfühlt.

Nach dem Gedenken am Tatort in der Mallinckrodtstraße besuchten die Hinterbliebenen das Mahnmal für die zehn mutmaßlichen Mordopfer des NSU in der Nähe des Hauptbahnhofs. Denn dort befindet sich die Steinwache, die während der Nazi-Diktatur ein Gestapo-Gefängnis war. "Heute ist die Steinwache der zentrale Ort der Erinnerungskultur in Dortmund und deshalb haben wir für den Gedenkstein für die Opfer des NSU-Terrors auch diesen Ort gewählt", sagte Oberbürgermeister Sierau.

Den Angehörigen sagte das Stadtoberhaupt, das Versprechen "Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!" gehöre zu den Grundfesten der freiheitlich-demokratischen Ordnung. "Und dieses Versprechen hat dieser Staat und haben die Behörden, die ihn und seine Menschen schützen sollten, in den Jahren des NSU-Terrors nicht gehalten."

Sierau unterstrich, dass zudem noch die Opfer und ihre Familien kriminalisiert worden seien. "Das alles beschämt uns sehr!" Leider bestehe bis heute der Eindruck, dass nicht alle Behörden "wirklich rückhaltlos zur Aufklärung der Verbrechen beitragen."

"Heute ist aber auch ein Tag des Innehaltens und des Gedenkens an die Verstorbenen", sagte der Oberbürgermeister. Auch am Mahnmal wurden Blumen niedergelegt.

Barbara John weiß aus zahlreichen Gesprächen mit den Angehörigen: "Es treibt sie auch immer die Frage um, warum mein Ehemann, mein Vater? Warum dieses Geschäft? Die Täter kommen doch nicht her, steigen am Bahnhof aus, laufen dann rum und schießen irgendwo. Sondern es muss vorher genau geplant und organisiert worden sein. Wer sind die Helfer? Über diese Netzwerke wissen wir bisher so gut wie gar nichts."

Die Ombudsfrau der Bundesregierung betonte, es gehe auch um die Kinder. "Wir haben bei unserem Treffen denjenigen gratuliert, die inzwischen Nachwuchs bekommen haben. Das sind bereits die Enkel der Opfer." Daran sehe man, dass sich die Familien in Deutschland zu Hause fühlten. "Wir sind gefordert. Denn diese Familien brauchen unsere Unterstützung."