Recherchen von "Tagesspiegel" und "Zeit" haben ergeben, dass seit 1990 mehr als 169 Menschen durch rechte Gewalt in Deutschland ums Leben gekommen sind. Die offizielle Zahl der Todesopfer liegt aber lediglich bei 84.
Warum dieser Unterschied? Darüber sprechen am Montag (11.03.2019) an der Ruhr-Universität Bochum Wissenschaftler. Professor Tobias Singelnstein hat den Austausch organisiert.
WDR: Herr Singelnstein, Ihre Veranstaltung trägt den Titel "Verzerrte Wahrnehmung?". Worauf spielen Sie an?
Tobias Singelnstein: Die Grundfrage lautet: Inwiefern wird bei Tötungsdelikten eine rechte Motivationen von den Strafverfolgungsbehörden zutreffend erkannt? Die Antwort hierauf ist von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Es ist ein großer Unterschied, ob wir bundesweit von 84 oder von gut doppelt so vielen Todesopfern rechter Gewalt reden.
Tobias Singelnstein
Professor Tobias Singelnstein ist Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.
WDR: Wie viele Todesopfer rechter Gewalt gibt es in NRW seit 1990?
Singelnstein: Auch da gehen die Einschätzungen weit auseinander. Die offizielle Statistik führt elf Todesopfer auf. Nicht-staatliche Stellen kommen zu viel höheren Zahlen.
Die Recherche, die der "Tagesspiegel" zusammen mit der "Zeit" seit über 20 Jahren durchführt, zählt beispielsweise 24 Todesopfer und zusätzlich acht Verdachtsfälle.
WDR: Welche Fälle in NRW sind besonders umstritten?
Singelnstein: Nicht in der offiziellen Statistik enthalten sind unter anderem drei Fälle, die erhebliche Debatten ausgelöst haben: In Dortmund erschoss im Jahr 2000 ein Neonazi bei einer Polizeikontrolle drei Beamte und brachte sich anschließend um – offenbar aus Hass.
Ebenfalls in Dortmund wurde 2005 ein Punk nach einem verbalen Streit von einem Rechtsextremisten erstochen.
Der Dreifachmord in Overath 2003 an einem Rechtsanwalt, dessen Frau und dessen Tochter weist sogar eine terroristische Dimension auf. Der Haupttäter, ein Neonazi, gab die Tatwaffe an "Kameraden" weiter, um - wie zuvor geplant - den "bewaffneten Kampf" weiterzuführen.