Kubaşık-Angehörige vor NSU-Ausschuss
"Die Polizei nahm uns auch noch die Ehre"
Stand: 14.01.2016, 09:00 Uhr
- Der Mord an einem Dortmunder Kioskbesitzer 2006 war am Mittwoch (13.01.2016) Thema im NSU-Ausschuss des NRW-Landtages
- Bei ihrer Befragung erhoben die Angehörigen von Mehmet Kubaşık schwere Vorwürfe
- Die Polizei habe bei ihren Ermittlungen falsche Gerüchte gestreut
Von Dominik Reinle
Es sind beklemmende Momente, als Elif Kubaşık und ihre Tochter Gamze am Mittwoch (13.01.2016) vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages aussagen. Die beiden schildern den Abgeordneten, was ihnen vor bald zehn Jahren widerfahren ist: Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kubaşık in seinem Kiosk in der Dortmunder Mallinckrodtstraße erschossen. "Wir gehen wieder zurück in die Zeit und erleben das noch einmal", sagt die Witwe Elif Kubaşık. Das sei schwierig zu ertragen, aber notwendig. Verbrechen, wie sie der NSU begangen habe, dürften sich nie wiederholen. "Ich möchte nicht, dass andere Kinder ohne Väter aufwachsen."
Doch die Todesnachricht damals nicht das Einzige, womit die Familie Kubaşık damals konfrontiert wurde. "Am Tag nach dem Mord wurden ich und die Kinder zur Polizei gebracht, wo wir DNA-Proben und Fingerabdrücke abgeben mussten", sagt Elif Kubaşık. In den folgenden Verhören seien immer wieder Beschuldigungen gegen ihren Mann vorgebracht worden. Gamze Kubaşık sagt, sie sei von den Beamten immer wieder gefragt worden, ob ihr Vater Feinde gehabt habe, ob er Geld zu türkischen Banken transferiert habe, ob er etwas mit der Mafia oder der PKK zu tun gehabt habe. Ein Polizist habe behauptet, ihr Vater habe eine Geliebte gehabt. Außerdem seien die Wohnung und der Keller der Familie mit Drogenhunden durchsucht worden - ohne Ergebnis.
"Wir haben einen Stempel aufgedrückt bekommen"
"Meinen Vater zu verlieren, war schon schlimm", sagt Gamze Kubaşık aufgewühlt. "Aber das man uns auch noch die Ehre weggenommen hat - das war das Schlimmste für mich." Die Familie sei jahrelang verdächtigt worden. Dafür sei die Polizei verantwortlich. "Die ganze Nachbarschaft warf uns vor, mein Vater habe Drogen zu Hause gehabt und diese an Kinder verkauft." Sämtliche Nachbarn hätten erzählt, ihnen seien von der Polizei Fotos des Kioskbesitzers gezeigt worden - mit der Frage, ob sie von Mehmet Kubaşıks Drogengeschäften gewusst hätten. Die Beamten hätten derartige Äußerungen zwar abgestritten. "Aber warum sollten die Nachbarn lügen?"
Verlor ihren Mann: Elif Kubaşık
"Als wir nach der Beerdigung meines Vaters aus der Türkei zurückgekommen sind, fingen die Gerüchte an", sagte Gamze Kubaşık. In ihrer Aussage bestätigte ihre Mutter: "Wir haben von den Leuten den Stempel aufgedrückt bekommen, dass wir zur Mafia gehören und mit Drogen handeln würden." Erst als 2011 der NSU aufflog, stellte sich heraus, dass Mehmet Kubaşık vermutlich von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen worden ist - als achtes Opfer eine Mordserie an Männern mit ausländischen Wurzeln. Eine Entschuldigung von der Dortmunder Polizei habe es danach aber nicht gegeben, sagt Elif Kubaşık. Deshalb sei es für sie eine Genugtuung gewesen, als im Münchner NSU-Prozess ein Polizist zugegeben habe: "Wir haben Mehmet Kubaşık durchleuchtet, aber wir haben nichts gefunden. Er ist so sauber wie ein weißes Hemd."
Anwalt sieht "strukturell-rassistisches Problem"
"Die Polizei hat von Anfang an gegen die Familie, falsche Vorwürfe vorgebracht", sagte Gamze Kubaşıks Anwalt Sebastian Scharmer nach der Befragung seiner Mandantin. "Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem man schon wusste, dass mit der gleichen Tatwaffe noch andere Menschen umgebracht worden sind." Es sei normal, dass die Polizei überprüfe, dass es sich um eine Beziehungstat handele. "Aber wie viele Beziehungs-Serientaten gibt es denn?! Es war eine völlig falsche Fährte."
Für die Polizei sei offenbar klar gewesen: "Ein Türke, der erschossen wird, muss einen kriminell-organisierten Hintergrund haben, der muss mit Drogen handeln, der muss eine Geliebte haben", so Scharmer. "Das ist aus meiner Sicht ein strukturell-rassistisches Problem, was die Polizeibehörden in Dortmund und anderswo in Deutschland gehabt haben und noch haben."
Güler: "Vom Opfer zum Täter gemacht"
Die Abgeordneten zeigten sich von den Schilderungen betroffen. "Ich bin sehr froh, dass Elif und Gamze Kubasik ausgesagt haben", sagte Birgit Rydlewski (Piraten). "Das vermittelt uns noch mal einen ganz anderen Eindruck als das bloße Aktenstudium." Serap Güler (CDU) ergänzte: "Das hat keinen im Saal kalt gelassen. Das hat uns alle ziemlich berührt, wie dieser Prozess stattfindet, vom Opfer zum Täter gemacht zu werden." Das Verhalten der Behörden mache ihn wütend, sagte Arif Ünal (Grüne). Besonders tragisch sei, dass die Kubaşıks als politische Flüchtlinge nach Deutschland gekommen seien, um Schutz zu suchen - und daraufhin ein solches Schicksal in der Bundesrepublik erlebt hätten.
Trotz ihrer schrecklichen Erfahrungen in Deutschland sagt Elif Kubaşık: "Wir sind ein Teil von hier und wir werden nicht weggehen."