Als Kemal Dinç mit zehn Jahren nach Deutschland kam, brachte er seine Muttersprache mit sich. Sie hatte einen birnenförmigen Bauch aus Holz, einen langen Hals, und sie war seine Medizin gegen die Fremdheit. Geboren 1970 in Istanbul, als Kind einer Familie mit Wurzeln an der anatolischen Schwarzmeerküste, die schon bald Arbeit und ihr Glück in Deutschland suchte, war Kemal Dinç fremd im neuen Land, fremd der Sprache, den Eltern gegenüber, fremd auch den jüngeren Geschwistern, die schon in Deutschland geboren waren. Vertraut waren nur seine Bağlama, die Langhalslaute, mit der er nun stundenlange Gespräche führte, und vertraut waren auch die vielen Lieder aus seiner Heimat, die er in seinem Gedächtnis mitgebracht hatte.
Erst spät, sehr spät, mit 24, fing Dinç an, klassische Gitarre zu lernen, und auch das tat er sehr gründlich. Für geschlagene 7 Jahre legte er die Bağlamazur Seite und widmete sich nur seinem neuen Instrument. Schließlich studierte er in Leipzig Klassische Gitarre und Komposition und erarbeitete sich einen zweiten musikkulturellen Horizont. Heute lehrt Dinç an verschiedenen Musikhochschulen und ist ein ausgewiesener Virtuose auf seiner Bağlama, einer, der nicht nur die traditionellen Lieder spielt, sondern danach strebt, seine musikalischen Horizonte in Einklang zu bringen. Allerdings musste er dafür das Ausdrucksrepertoire seines Instruments erweitern. Auf der nach seinen Vorgaben neukonstruierten Dinç-Bağlama, kann er mit den Anschlagstechniken, die er sich auf der Gitarre angeeignet hat neue Klangwelten entfalten und den Grundstein legen für ein völlig neues Repertoire auf seinem Instrument, eines, das losgelöst ist von den traditionellen Liedern und das Vokabular seiner Muttersprache Bağlama in eine neue Zeit führt.