1957 macht eine Jugendstudie Furore. Sie trägt den Titel "Skeptische Generation". Geschrieben hat sie der Soziologe Helmut Schelsky, der ein Gespür für populäre Themen hat. Seine empirische Analyse der Nachkriegsgeneration wird ein Bestseller, der bis in den Bundestag hinein Debatten auslöst. Der Titel des Werks klingt wie eine Anspielung auf die "Verlorene Generation". Dieser Begriff geht auf eine US-Schriftsteller-Gruppe um Ernest Hemingway zurück. Die Autoren bezeichneten die Jugend nach dem Ersten Weltkrieg als "Lost Generation", die auf der Suche nach einem neuen Lebensgefühl war.
"Die Grundthese war ja 'ohne mich'", sagt Schelsky später über sein Buch. "Das heißt, mit uns nicht noch mal dasselbe." Die Notsituation des Zweiten Weltkrieges, "der Verbrechen, des Zusammenbruchs, der materiellen wirtschaftlichen Not" habe die damalige Jugend geprägt. "Diese Generation ist in ihrem sozialen Bewusstsein und Selbstbewusstsein kritischer, skeptischer, misstrauischer, glaubens- oder wenigstens illusionsloser als alle Jugendgenerationen vorher." Sie sei im privaten Verhalten angepasster und suche ihre Orientierung im Beruflichen - "nicht mehr in politischen Heilsversprechungen", wie Hans Malmede, Kultur- und Erziehungswissenschaftler an der Universität Düsseldorf, sagt.
Karriere in der Nazi-Zeit
Geboren wird Schelsky am 14. Oktober 1912 in Chemnitz. Er studiert an der Universität Königsberg Philosophie, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte. Er ist Schüler von Hans Freyer und Arnold Gehlen. 1943 wird er als Professor für Soziologie an die nationalsozialistische Reichsuniversität Straßburg berufen. Kriegsbedingt wird daraus jedoch nichts: Schelsky geht als Infanterist an die Ostfront. Seine Karriere in der Nazi-Zeit wird ihm später vielfach vorgehalten: 1932 ist er der SA beigetreten, ein Jahr später wurde er Mitglied im nationalsozialistischen Studentenbund, 1937 trat er auch in die NSDAP ein.
Noch in den letzten Kriegstagen gründet Schelsky als Wehrmachts-Offizier ohne offiziellen Auftrag den Suchdienst des Roten Kreuzes. Nach dem Krieg geht seine akademische Laufbahn weiter: 1952 erhält er den Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Hamburg, von wo er acht Jahre später nach Münster wechselt. Schelskys Themen und wissenschaftliche Methoden gelten als modern. Konservativ hingegen sind die Schlüsse, die er daraus zieht. Eine Studie über die Sexualität gehört ebenso zu seinem Arbeitsbereich wie Untersuchungen zur Rolle der Familie oder über die Folgen der industriellen Automatisierung.
Vordenker der Konservativen
1969 wird Schelsky einer der Gründungsväter der Reformuniversität Bielefeld. Deren interdisziplinärer Ansatz ist damals neu. Der Aufenthalt in Bielefeld dauert allerdings nur rund drei Jahre. Nach einem Zwist mit rebellierenden Studenten und sich distanzierenden Mitarbeitern kehrt Schelsky nach Münster zurück. Er stellt sich gegen die 1968er Bewegung und schreibt in einer Reihe von Studien gegen sie an. In seinem Buch "Die Arbeit tun die anderen" kritisiert er 1975, dass linke Ideologen nur ihre eigenen, jedoch nicht die Interessen der Arbeiter vertreten würden. Das provozierende Buch, das sich auch gegen Heinrich Böll und das Magazin "Der Spiegel" richtet, stößt auf viel Kritik.
Schelsky wird zu einem Vordenker der Konservativen erklärt. CDU, CSU und ÖVP laden ihn als Referenten zu Parteiveranstaltungen ein. Doch auch von den bürgerlichen Kreisen lässt sich der Soziologe nie ganz vereinnahmen. Verbittert über die Entwicklungen in der Soziologie legt er sich zuletzt als "Anti-Soziologe" auch mit dem eigenen Fach an. Seinen gesellschaftskritischen Kollegen wirft er vor, "ihrerseits die Güter-Produzenten ausbeutende Klasse" zu bilden. Schelsky wird 1978 emeritiert, forscht und publiziert aber weiter. Er stirbt am 24. Februar 1984 im Alter von 71 Jahren in Münster.
Stand: 14.10.2012
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