Stichtag

12. Januar 1959 - Der DDR-Tanz "Lipsi" wird präsentiert

Der Kalte Krieg wird auch kulturell ausgefochten. Seit Mitte der 1950er Jahre gilt der Rock'n Roll aus dem Westen in der DDR als "seelenlose" Musik. Pomade im Haar, enge Nietenhosen und Passanten anpöbeln - dieses "Texas-Rangertum" bringe die sozialistische Jugend auf Abwege. Über Elvis Presley schreibt die FDJ-Zeitung "Junge Welt": "Sein 'Gesang' glich seinem Gesicht: dümmlich, stumpfsinnig und brutal." Im Januar 1958 legt die SED-Führung fest, dass 60 Prozent der Musik, die an Tanzabenden gespielt wird, von Komponisten aus der DDR oder dem sozialistischen Ausland stammen müssen.

Doch Verbote reichen nicht aus, die musikalische Mode aus den USA fasziniert die Jugend in Ostdeutschland dauerhaft. Die DDR-Führung unter Walter Ulbricht sucht deshalb nach Alternativen. Der Rock'n Roll soll durch einen neuen Tanz ersetzt werden. DDR-Komponisten werden aufgefordert, Vorschläge zu machen. Den Zuschlag bekommt René Dubianski, der aus dem Walzer einen Tanz im Sechsvierteltakt entwickelt hat und ihn "Lipsi" nennt - nach seiner Heimatstadt Leipzig, lateinisch Lipsia. Das Ehepaar Christa und Helmut Seifert, Inhaber einer Leipziger Tanzschule, choreografieren die Schrittfolgen. Auf der Tanzmusikkonferenz in Lauchhammer, die am 12. Januar (andere Quellen sprechen vom 13. Januar) 1959 eröffnet wird, hat der "Lipsi" Premiere.

Auf eine Liberalisierung ...

Eine groß angelegte Werbekampagne in den DDR-Medien soll dem sozialistischen Tanz zum Durchbruch verhelfen. Doch bereits Ende 1960 ist die "Lipsi"-Offensive gescheitert. Die DDR-Jugend ignoriert den Tanz. Als auf den Rock'n Roll eine Twist-Welle folgt, geben sich die ostdeutschen Behörden liberal, um den Einfluss auf den eigenen Nachwuchs nicht zu verlieren. Die Vorschriften werden geändert: In den Clubs der FDJ verschwinden Schilder mit der Aufschrift "Auseinandertanzen verboten" wieder.

SED-Chef Ulbricht verkündet nun: "Welchen Takt die Jugend wählt, ist ihr überlassen: Hauptsache, sie bleibt taktvoll!" In der DDR entstehen daraufhin Twist- und Beatbands. Im Mai 1964 findet in Ostberlin ein "Deutschlandtreffen" statt - mit einer halben Million Jugendlichen aus der DDR und 25.000 aus der Bundesrepublik. Der Berliner Rundfunk sendet neben sozialistischem Liedgut auch Beatles-Songs. Der DDR-Musikverlag Amiga beginnt, Beat-Platten zu veröffentlichen.

... folgt wieder Null-Toleranz

Doch als im September 1965 bei einem Rolling-Stones-Konzert in West-Berlin das Publikum randaliert, beschließt die SED erneut einen Richtungswechsel. Langhaarige werden von der Volkspolizei aufgegriffen und zwangsgeschoren. Bands mit englischen Namen müssen sich umbenennen: Aus den "Swinging Guitars" werden die "Schwingenden Gitarren". Ulbricht fragt im Dezember 1965 rhetorisch: "Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen?" Mit der "Monotonie des 'Yeah, Yeah, Yeah' solle man doch Schluss machen, fordert er.

Das ist allerdings nicht so einfach: In weiten Teilen der DDR kann die Jugend das Programm des RIAS aus Westberlin hören. Es bleibt den DDR-Verantwortlichen nichts anderes übrig, als widerwillig immer wieder neue westliche Trends zuzulassen.

Stand: 12.01.2014

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